Die Umstände ihrer Heirat kenne ich aus einer Erzählung meiner Tante Hanni, die diese ihrerseits auch nur aus einer Erzählung meiner Großmutter kennt. Meine Großmutter war Geschäftsführerin im Konsum Sedlitzkygasse und spielte in ihrer Freizeit Theater in tschechischer Sprache auf einer kleinen Bühne im Gasthaus Švagerka/Schwagerka in der Kopalgasse. 

Das Haus besteht heute noch und es wurde auch noch bis vor ein paar Jahren als Gasthaus betrieben und man kann ahnen, wie es seinerzeit ausgesehen haben mag. Es muss ein wichtiger Treffpunkt der Simmeringer Tschechen gewesen sein. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Hütte auf diesem wertvollen Grundstück durch ein gewinnbringendes Haus ersetzt wird.

In diesem Wirtshaus wurde um 1900 auch noch eine tschechische Volksschule betrieben. Mein Großonkel Richard Tušl hat sie besucht. Ein Klassenfoto zeigt das. Es ist auch die einzige Aufnahme aus dieser Zeit, die ich noch habe.

Meine Großmutter hielt im Grunde nichts von dem eher derben Typ des Schlossergehilfen Kvaček. Sie selbst war voller ehrgeiziger Pläne und ein Schlosser war bei ihrer Karriere eher hinderlich als dienlich. Dass sie dann schließlich doch heirateten, beruhte auch auf einem ehrgeizigen Plan meiner Großmutter: ‚Sie wollte‘, so meine Tante Hanni während einer langen Autofahrt, ‚aus meinem Großvater im Zuge der Ehe einen anständigen Menschen machen. Wahrscheinlich hat sie aber die legere Art meines Großvaters angesprochen, sie, die sie selbst kaum Humor verstanden hat oder wollte. Insofern fand sie in ihrem lebensfrohen Ehemann eine gute Ergänzung.

Meine Großmutter wohnte vor 1912 in der Krausegasse 4.

Mein Großeltern heirateten am 15.9.1912 in Anwesenheit der Zeugen, Schneidermeister Adalbert Tušl (Schwager meiner Großmutter) und Josef Tůma (Schwager meiner Großmutter) in der Pfarre St.Laurenz in Simmering, wie auch meine Eltern und ich selbst auch. Ein kleiner Widerspruch zwischen den Erzählungen meiner Tante Hanni und dem Trauungsschein meiner Großeltern, allerdings ist die genaue Chronologie nicht mehr rekonstruierbar. Demnach war meine Großmutter bei ihrer Heirat Hilfsarbeiterin. Es bestand also eigentlich keine Veranlassung den Schlosserberuf als weniger hochwertig anzusehen. Das junge Paar übersiedelte in die Sedlitzkygasse 42 (Ecke Grillgasse). Dort wohnten auch andere aus dem Pohan-Clan, zum Beispiel die Peska mit ihrer Tochter Ludmilla (meine Tante Milly).

Ihr erstes Kind kam 1913 zur Welt, ein Bub, Franz, von dem außer Erzählungen nur ein einziges Bild zeugt. Stehend an einem Sessel mit einer überdimensionalen Kappe, das war wahrscheinlich damals modern, genauso, wie auf dem Bild auf seinem Grab.

Doch die Freude über die junge Familie währte nicht lange, denn mein Großvater musste in den Krieg und kam an die Russland-Front. 

Im Kriegsjahr 1916 erkrankte der dreijährige Franz an Tuberkulose (oder Scharlach) und kam in Spitalsbehandlung. Schwester Maria riet meiner Großmutter das Kind zu sich nach Hause zu nehmen. Das Kind erstickte aber an einem Schleimpfropfen im Hals.

Dieses tragische Ereignis hat das Leben meiner Großmutter geprägt wie kein anderes davor oder danach. Es quälte sie das ganze Leben, dass sie zu wenig initiativ war in dieser Situation, dass sie es in der Panik nicht geschafft hat, den Mund des Kindes zu säubern. Nie hat sie ihrer Schwester eine Schuld zugeschrieben, immer nur ihrer eigenen Handlungsunfähigkeit.

Schwester Maria hatte große Schuldgefühle. Sie kaufte ein neues Grab am Simmeringer Friedhof und dafür einen der interessantesten Grabsteine aus Marmor, das zum Familiengrab werden sollte. 

Dieses einschneidende Erlebnis prägte den Arbeitsstil in allen folgenden Jahren. In einer Art Arbeitswut mühte sie sich ab und es war gar nicht klar, für was genau sie sich abmühte. Für sie selbst kann es nicht gewesen sein. Nur ein einziger „Urlaub“ in den dreißiger Jahren ist überliefert. Sie fuhr in die damalige Tschechoslowakeit (CSR), um ihre Verwandten zu besuchen. Aber sie fühlte sich dort nicht mehr heimisch; sie war ein Wienerin geworden.

Mein Großvater Franz kam in die russische Gefangenschaft und kehrte nach dem Krieg heim. Er hat nur Gutes über die Russen berichtet. Sein Vorteil waren seine handwerklichen Kenntnisse und die tschechische Sprache, mit der er sich gut verständigen konnte. Er dürfte sich aber in der Kälte dieser Jahre seine Lunge so stark geschädigt haben, dass er das weitere Leben daran gelitten hat und schließlich an Lungenkrebs verstarb (Erzählung meiner Ruftante Hanni). 

1921, wie damals offenbar üblich, wieder eine persönliche Postkarten das meine Großeltern im Wirtshaus Schwagerka zeigt, meine Mutter ist in einem Wickelposter. Das Gasthaus war ein Treffpunkt der Simmeringer Tschechen. Die Karte wurde wieder an den Schwager Klíma adressiert. Das damalige Statussymbol, eine Taschenuhr beim Großvater, durfte nicht fehlen. Sogar ein Krawatte trug er. Ein Kleidungsstück, das ich bei ihm eigentlich nie bemerkte, außer vielleicht als Geschenk zu Weihnachten.

Aus der Zeit der größten Schaffenskraft meiner Großeltern sind praktisch keine Bildaufzeichnungen erhalten. Das nächste Bild zeigt die Familie Kvaček gemeinsam. Meine Mutter bereits als junge Dame, meine Großmutter bereits 10-15 Jahre ‚umfangreicher‘, schon mit der Figur, mit der ich sie kannte. Das Bild hängte übrigens viele Jahre in Kritzendorf im Schlafzimmer. 

Meine Mutter wurde 1921 geboren. In dieses Kind investierten die Kvačeks alle ihre Energie. Sie besuchte die damals offenbar tschechische Schule in der Brehmstraße. Der dortige Direktor Josef Patloch bewohnte die Wohnung in der Lorystraße 17/7. Und wie heute die Türken, kannten sich natürlich die Tschechen sehr gut untereinander. Danach besuchte meine Mutter die tschechische Handelsschule, durchwegs mit sehr gutem Erfolg. Ihr Jugendzimmer bestand aus gediegenen Schränken in Nussbaumfurnier und aus einem Ehrbar-Pianino, das ich heute noch besitze. Auch der Sekretär, an dem sie gearbeitet hat, befindet sich noch in unserem Besitz. Das Pianino könnte Anfang der Dreißiger Jahre gekauft worden sein, die Möbel 1939, beim Umzug in die Lorystraße.

Klavier spielen zu können, das war etwas. Nicht nur in dem Lied „Man müsste Klavier spielen können“ (1941); es zeichnete offenbar Menschen aus, die es sich leisten konnten, ihre Kinder in dieser Fertigkeit unterrichten zu können. Und meine Mutter war eine gute Schülerin. In etwa 15 „Sang und Klang“-Bänden fanden sich Markierungen bei bis zu sehr schweren Klavierstücken aus dem 19. Jahrhundert. Und meine Mutter hat bei manchen Gelegenheiten viele dieser Stücke vom Blatt gespielt.

Meine Großeltern waren bereits wohlhabende Besitzer zweiter Lebensmittelgeschäfte; die eigentlich treibende Kraft war meine Großmutter Julie. Mein Großvater gab mehr den Chef, der seinen Hobbies nachging.

Ein Abenteuer mit einem Kino in Süßenbrunn hatten sie hinter sich gelassen. Es wurde erzählt, dass sie – um das Kino zu betreiben – den langen Weg von Simmering nach Süßenbrunn zu Fuß zurückgelegt haben. 

Zwischen 1924 und 1938 wohnten Meine Großeltern und meine Mutter in der Herbortgasse 25 in einer Erdgeschoßwohnung unmittelbar neben ihrem Geschäft in der Grillgasse 35. Am 10. August 1925 meldet meine Großmutter das Gewerbe „Gemischtwarenverschleiß“ beim Magistrat an.

Ab 1927 arbeitet mein Großvater Franz im Geschäft meiner Großmutter als Familienmitglied mit. Gleichzeitig gibt er den Beruf als Schlosser bei Felten Guilleaume auf.

Warum sich meine Großeltern 1932 von ihrem Schwager Franz Peksa 8000 Schilling ausgeborgt haben, weiß ich nicht. Geld hatten sie nie, die Kvaček und später auch die Fiala.

Der tschechische Geschäftsmann Bozdech schuldete ihnen Geld, offenbar viel Geld. Da er es nicht zurückzahlen konnte, bot er 1935 meinen Großeltern ein Grundstück in Kritzendorf, Feldstraße 86 an, auf dem eine kleine Hütte stand. Seither waren meine Großeltern Besitzer einer spartanischen Sommerfrische und verbrachten dort die Wochenenden, später in der Pension das ganze Sommerhalbjahr. 

Wann genau die drei Schwestern Julie (meine Großmutter), Maria und Ludmilla das Wohnhaus in der Sedlitzkygasse 14 zu je einem Drittel erwarben, weiß ich nicht, ebenso ist über den Zeitpunkt des Erwerbs der Lorystraße 17 nichts bekannt.

Hausbesitz, das galt etwas in der damaligen Zeit. Allerdings war die Wohnungspolitik damals – und auch heute noch – nicht auf der Seite der Vermieter. Zwar wurden die beiden Häuser im Krieg nicht zerstört (das Haus in der Sedlitkzygasse 14 wurde von einer Bombe getroffen und eine vorher vorhandene Kuppel musste im Zuge der Reparaturarbeiten abgetragen werden) und man konnte in den Häusern auch selbst wohnen, doch die Mieteinnahmen deckten damals und auch heute nicht den Reparaturbedarf der Häuser.

Das Jahr 1938 brachte große Einschnitte im Leben meiner Großeltern. Im Februar stellen sie den Betrieb des Geschäfts in der Hauffgasse 14 ein. 

Ab 1939 wohnten meine Großeltern in der Lorystraße 17 und richteten dort im August 1939 meiner Mutter ein Zimmer ein, von dem wir einen Sekretär noch besitzen. Das Pianino dürfte meine Mutter schon viel früher bekommen haben-

Die erste Steuererklärung, die wir haben, stammt aus dem Jahre 1938 und wurde von meinem Onkel Carda verfasst. In dieser Einkommensteuererklärung ist auch festgehalten, dass meine Mutter mit Ende des Schuljahres den Dienst im Lebensmittelhandel aufnimmt. Das war wahrscheinlich auch der Zeitpunkt, an dem mein Tante Hanni den Dienst bei meiner Großmutter quittieren musste, da das Geschäft für eine zusätzliche Verkäuferin einfach zu klein war. 

Die nächsten Steuererklärungen werden noch von meinem Onkel, die aus dem Jahre 1945 von meiner Mutter ausgefüllt. Auf einem Doppelbogen finden sich Vorarbeiten zu dieser Steuererklärung, die von meiner Mutter begonnen wurden und am Rand durch handschriftliche Eintragungen durch meine Onkel Carda ergänzt sind. Offensichtlich war das der Versuch, meiner Mutter die Steuererklärungen zu lehren, damit sie zukünftig diese selbst bearbeiten konnte. Zu diesem Zeitpunkt hat sie schon meinen Vater gekannt und wie aus späteren Aufzeichnung ersichtlich ist, hat er bereits einige Jahre später diese Arbeiten übernommen. 

Es ist mir fast unbegreiflich, wie meine Großmutter das alles geschafft hatte. Gegönnt hat sie sich nichts. Sie kannte nur die Pflicht, die Arbeit und jeder Anflug von Freizeitbeschäftigung war ihr suspekt. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich viel von ihr gelernt ohne dass mir das damals in der Kindheit bewusst gewesen wäre. Mehr als von meinen Eltern. Aber das ist wenig erstaunlich, verbrachte ich doch den ganzen Tag bei meinen Großeltern. Meine Eltern waren mit dem Wiederaufbau beschäftigt.

Meine Neigung, Dinge auszuprobieren, zu basteln, zu experimentieren soll ich meinem Großvater zu verdanken haben, denn mein Vater war handwerklich nicht gerade ein Vorbild. Mein Großvater aber umso mehr. Als kleiner Bub soll ich mit Freude Nägel in die Holzhütte in Kritzendorf eingeschlagen haben – normalerweise ein Grund zum Schimpfen für auf Ordnung bedachte Großeltern. Aber nicht bei meinem Großvater, der von solchen Aktionen begeistert war und bereitwillig weitere Nägel herbeischaffte. Seine Werkbank, seine zahlreichen Konstruktionen von Schössern faszinierten mich und vielleicht habe ich diesen seinen Hobbies und dem Staunen meines Vaters über die moderne Technik meinen späteren Beruf zu verdanken.

Meiner Großmutter setzte die schwere Arbeit in den Geschäften ziemlich zu. Ich kannte sie nur als ziemlich unbewegliche Frau. Die Beine trugen sie nicht mehr. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sie von der Straße das etwa 50 Meter am Hügel liegende Häuschen in Kritzendorf erreichte. Das war im Mai. Und dann ebenso lange, bis sie im Oktober wieder diesen Weg zurückging. Gestützt jeweils von zwei Begleitern. Die Monate dazwischen war sie in der Hütte praktisch gefangen.

Trotz dieser Behinderung hat sie meinen Großvater um 10 Jahre überlebt, der mit 75 an Lungenkrebs verstarb.

Die Parteizugehörigkeit der Kvaček war etwa folgende. Franz, der Schlosser war deklarierter aber nicht eingetragener Kommunist. Die Kriegsgefangenschaft im ersten Weltkrieg hat ihn darin noch bestärkt, denn er hatte über diese Jahre der Kriegsgefangenschaft in Omsk sehr positiv berichtet. Dass er Tscheche war und sich daher auch in Russland verständigen konnte und dass er handwerklich sehr geschickt war, hat ihm dabei sicher sehr geholfen. Großmutter Julie war als Verkäuferin in einem Konsum wohl eher den Tschechischen Sozialisten zuzuzählen und auch meiner Mutter war in ihrer Jugend noch bei diesem Verein. Diese zahlreichen tschechischen Vereine hatten oft mehr die Geselligkeit als das eigentliche Vereinsziel zum Gegenstand ihrer Treffen; und meine Mutter liebte die Geselligkeit. 

Nach dem Einstieg in die Selbständigkeit änderten sich auch die Interessen der jungen Geschäftsfrau und sie wandte sich der Christlich-Sozialen Partei zu. Sie war eine Verehrerin von Dolfuß. Großvater Franz war kein Geschäftsmann aber er arbeitete überall mit, wo seine Hilfe nötig war. Aber die Geschäfte, die führte meine Großmutter. Großvater Franz war ein „Sunnyboy“, würde man heute sagen. gerne zeigte er sich auch im Anzug, mit der goldenen Uhr des jungen Hausbesitzers, kurz, er war jetzt auch ein Bürgerlicher geworden.

In einem aber waren sich die Kvaček einig: in der Ablehnung der Nazis. Der Grund  ist nahe liegend, denn ein Nationalismus ist der Feind des anderen. Meine Mutter wurde mehr im Tschechischen Nationalismus erzogen als meine Großmutter. Die Großmutter besuchte die Grundschule in Nová Cerekev in Mähren aber danach war sie nur mehr in deutscher Umgebung. meine Mutter dagegen besuchte bis zu ihrem 18. Lebensjahr tschechische Schulen in Wien, sprach ausschließlich Tschechisch und war etwa so, wie heute junge Türken sind: tschechisch-national. Meine Großmutter dagegen war pragmatisch. Sie war durch und durch Österreicherin. Ein einziges Mal fuhr sie nach Tschechien zu ihren Verwandten. Aber sie war enttäuscht, enttäuscht von der bäuerlichen Welt, von der Perspektivlosigkeit aus der sie – eigentlich durch einen Zufall – entronnen war. Und wegen dieser tschechisch-nationalen Tendenzen meiner Mutter war man klarerweise gegen Hitler. Mir selbst ist dieser Nationalismus oft auf die Nerven gegangen, denn genau genommen ist der Unterschied zu Hitler-Deutschland nur das Ausmaß des Grauens; die Tendenzen aller dieser Nationalismen sind aber gleich.

Am Wahltag dürfte sich die Familie wohl einig gewesen sein. Man wählte schwarz.

Besitz

Es gab nichts, was meine Großeltern nicht gemeinsam besessen hätten. Es begann aber mit nichts.

Der Großvater war Schlosser bei Felten Giullaume, die Großmutter war Verkäuferin, später Filialleiterin beim Konsum. 

Aus diesen Berufen erwirtschafteten sie sich das Startkapital für die Gründung eines Lebensmittelgeschäfts in der Hauffgasse (von diesem Geschäft gibt es leider kein Bild), später eines zweiten Geschäfts in der Grillgasse 38. Dieses Bild zeigt das Geschäft in der Grillgasse 28 in der Dreißiger-Jahren.

Es gab auch die Unternehmung „Kino“. Die Großeltern besaßen eine kurze Zeit (vermutlich in den 20er Jahren bis zur Tonfilmzeit) ein Kino in Süßenbrunn. Man bedenke, dass sie in Simmering gewohnt haben und man erzählte, dass sie die Strecke von Simmering nach Süßenbrunn oft zu Fuß (wahrscheinlich Teile der Strecke) zurückgelegt haben.

In den 30er Jahren war sogar eine weitere Filiale in Hernals in Planung, in der meine Ruftante Toni (Antonie Pohanková) Filialleiterin werden sollte, doch hat sich dieses Projekt zerschlagen.

Aus diesen kleinen Geschäften erwirtschafteten die Kvaček ein kleines Vermögen. 

Zuerst kauften die drei Schwestern Maria, Ludmilla und Julie gemeinsam das Haus in der Sedlitzkygasse 14. Man beachte, dass die Schwestern das Haus kauften, nicht ihre Ehemänner! Adalbert Tušl, der Ehemann von Ludmilla betrieb in dem Gassenlokal seine Schneiderei, später dann auch sein Sohn Richard.

Es ist mir nicht bekannt, wo der genaue Standort des Lebensmittelgeschäfts meiner Großmutter in der Hauffgasse war, denn als ich begann diese Orte wahrzunehmen, gab es das Geschäft nicht mehr. Es könnte aber auch sein, dass es im Erdgeschoß des eigenen Hauses Sedlitzky-Gasse 14 aber eben in der Hauffgasse war.

Im Dezember 1935 erwarben sie das Grundstück mit Holzhütte in Kritzendorf und wahrscheinlich gleichzeitig das Haus in der Lorystraße 17. Aber sie haben diese beiden Objekte nicht gezielt erworben sondern als Gegenwert eines Kredits, den sie privat an einen Herrn Bozdech vergeben hatten und den dieser nicht zurückzahlen konnte, übertragen bekommen.

Im folgenden Bild sieht man das Haus in der Lorystraße 17 noch mit Stuckverzierungen, die leider im Krieg sehr gelitten haben und bei der ersten Generalsanierung laut §7 wurde die Fassade – wie bei so vielen der Gründerzeithäuser – geglättet. Links neben der Einganstür kann man zwei Schilder erkennen: links: Schneidermeister Grissinger (kleines Lokal links neben der Eingangstür) und recht Malermeisterin Chalupsky (Tür 1 und 2, Lager). Herr Zvulik, der Nachfolger von Frau Chaluspky hat im Zuge der zweiten Sanierung (2002-2011, Hausverwaltung Heinz, später Auer & Heinz) noch das Stiegenhaus ausgemalt, ist aber danach auch in Pension gegangen. Die Kellerwohnungen 1 und 2 wurden als „nicht bewohnbar“ erklärt. Seit 2012 verwaltet das Haus die Hausverwaltung Hofer und ich bin zuversichtlich, dass das Haus sich in den nächsten zehn Jahren zu einem herzeigbaren Objekt entwickeln wird. 

Kriegsjahre

Meine Großeltern wohnten unmittelbar neben ihrem Geschäft in der ebenerdigen Eckwohnung, die erst später zu einem zusätzlichen Verkaufslokal umgewandelt wurde. Es bestand eine Verbindung zwischen Geschäft und Wohnung. Deshalb erging auch die gesamte Post an die Adresse Herbortgasse 25. 

Das Haus Lorystraße 17 besaßen sie seit 1933.

Das Jahr 1938 hatte große Auswirkungen auf das Leben meiner Großeltern. Wie genau die Abfolge der Ereignisse damals war, ist mir nicht bekannt. 

Es steht aber fest, dass das NSDAP-Mitglied Hepter, Schuhmacher in der Grillgasse, gegenüber dem Lebensmittelgeschäft meiner Großeltern, bei der Bezirksorganisation der Partei erwirkte, dass ihm die Wohnung Herbortgasse 25 als Verkaufslokal zugesprochen wurde, eine Art behördliche Enteignung also. Begründet wurde das damit, dass die Kvaček ohnehin Hausbesitzer in der Lorystraße 17 wären und daher die Wohnung in der Herbortgasse 25 nicht brauchen würden. Unbeachtet blieb, dass für meine Großmutter der Umstand, dass sie unmittelbar neben dem Geschäft wohnen konnte, sehr wichtig war, weil sie damals nicht mehr gehfähig war. Nützte alles nichts, die Großeltern mussten in die etwa 600 Meter entfernte Lorystraße 17 ziehen. Die Entfernung war für meine Großmutter unüberwindbar.

So einfach war aber ein Umzug nicht, denn es war keine Wohnung im Hause frei. Das wurde von der Partei so gelöst, indem man den ohnehin gekündigten Schuldirektor Patloch zum Auszug aus dem Haus zwang und damit Platz geschaffen hat für meine Großeltern.

Die unmittelbare Folge dieser behördlichen Verfügungen war, dass ab sofort nur mehr meine Mutter das Geschäft führte, weil meine Großmutter dazu nicht mehr in der Lage war. Sie tat es von 1938 bis 1957, ab etwa 1950 gemeinsam mit meinem Vater. 

Das Geschäft schaute im Jahr 1960 etwa so aus:

Das Haus befand sich in den 50er und 60er Jahren in einem sehr schlechten Zustand; der gesamte Verputz des Hauses ist abgebröckelt? Das Bild aus den Dreißiger-Jahren weiter oben zeigt das Haus noch unversehrt. Wahrscheinlich handelt es sich um Kriegsschäden.

Was wurde aus dem Besitz?

Der Besitz am Haus in der Sedlitzkygasse 14 ging nach dem Tod von Maria (1933) und Ludmilla (1944) auf meine Tante Milli und auf meinen Onkel Richard über. Meine Großmutter besaß immer noch ihren Drittelanteil.

Richard war Schneider. Er hatte in zweiter Ehe eine überaus attraktive Frau, Mathilde. Sein Bruder Felix und auch seine Mutter starben bei durch einen Bombentreffer in der Hauffgasse, seine Frau einige Monate danach. Sein Bruder Felix war gerade auf Heimaturlaub.

Ich vermute, dass Richard diesen Schicksalsschlag nie verarbeitet hat. Er begann zu trinken und seine Schneiderei, die er in der Hauffgasse 14 im Erdgeschoß betrieben hat, wies einen hohen Schuldenstand auf. 

Da er aber einen Hausanteil besaß, wurde ihm sein Hausanteil von den Miteigentümerinnen Julie (meine Großmutter) und Milli (meine Tante) ausbezahlt und von diesem Geld wurden die Schulden beglichen. Damit hatte die Sedlitzkygasse nur mehr zwei Eigentümerinnen. Nach dem Tod meiner Großmutter trat meine Mutter an ihre Stelle.

Meine Tante Milli verwaltete die Sedlitzkygasse 14 allein. Etwa im Jahr 1980 beschlossen aber sie und meine Mutter, das Haus zu verkaufen. Es ging in den Besitz der Firma Frischeis über, die im Gassenlokal ein Bastlergeschäft betrieb.

Zu der Zeit als Silvia und ich nach einer größeren Wohnung gesucht haben, versuchten wir zuerst im eigenen Haus in der Lorystraße 17 einen Dachbodenausbau zu planen. Doch die dazu benötigten Wohnungen im obersten Stock wurden von den Mietern nicht freigegeben. Daher suchten und fanden wir die Wohnung in der Siccardsburggasse 4. Die dazu notwendige Anzahlung stammt aus dem Verkauf des Hauses in der Sedlitzkygasse 14. Später kauften wir dann auch eine zweite, kleinere Wohnung in der Siccardsburggasse 4/1/11, die zuerst als Büro für die Vorbereitungen für meinen Unterricht und die PCNEWS verwendet wurde, dann einige Jahre leer stand und die jetzt von unserem Sohn Florian übernommen wird.

Das Geschäft in der Grillgasse 38 wurde aufgelassen, meine Eltern erwarben stattdessen das Geschäft Grillgasse 35. Nach dem Tod meines Vaters wurde das Geschäft noch verpachtet aber es gab Probleme, weil einfach die Zeit der Einzelhandelsgeschäfte vorbei war. Nach dem Tod meiner Mutter verkauften wir das Geschäft und leisteten uns einen Mitsubishi Pajero und einen Wohnwagen mit dem wir die nächsten 12 Jahre die Sommerferien am Keutschacher See verbracht haben.

Das Grundstück in Kritzendorf ging nach dem Tod meiner Mutter in meinen Besitz über. Ich ließ das Grundstück durch unseren Nachbarn Michael Huber roden und verpachtete den oberen Teil des Grundstücks an den Weinbauern Pscheid. 

Nach einigen Jahren wurde uns klar, dass unser Sohn Florian dieses Grundstück ebenso wenig nutzen würde, wie wir selbst und daher verkauften wir zuerst den unteren Teil des Grundstücks, das Bauland an Herrn Jochum und später dann auch den oberen Teil, an Herrn Pscheid. Der Erlös landete auf Sparbüchern und in Fonds, deren Zustand durch die Krise 2008 in einem schlechten Zustand ist. 2012 wurden die Sparbuchguthaben und die Fonds als Eigenkredit in das Haus Lorystraße 17 investiert.

Artefakte

An meine Großeltern erinnert ein Wohnzimmerschrank, der sich derzeit in Scheibbs befindet.

Auch habe ich noch einen Thonet-ähnlichen Stuhl, der wahrscheinlich noch aus ihrer ersten Wohnung in der Sedlitzkygasse stammt. Ich habe diesen Stuhl immer wieder bei Arbeiten in der Wohnung als Ersatz für eine Leiter benutzt und wegen seines daher schlechten Zustands werde ich den Stuhl bei einem Restaurateur runderneuern lassen.

Von den Nachtkästchen meiner Großeltern habe ich noch Christus- und Maria-Statuen aus Keramik. Ich vermute, dass diese Statuen noch von meiner Urgroßmutter stammen.

Weiters haben wir noch eine Wand-Pendeluhr.

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