Der Böhmische Prater

Der Böhmische Prater ist ein Vergnügungsviertel im Naturschutz- und Erholungsgebiet Laaer Wald/Löwygrube.

Böhmischer Prater

Während andere Erholungsgebiete wie der Prater, der Augarten und der Lainzer Tiergarten sich von vormals herrschaftlichem Besitz ableiten, fehlen solche Vorläufer im Böhmischen Prater. Dieses Gebiet entstand aus Bedürfnissen der rasch wachsenden Bevölkerung, des Militärs und der Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert.

Die Zuwanderer aus den Kronländern – die meisten kamen aus Böhmen und Mähren – hatten keinen leichten Stand. Ausgrenzung stand vor Integration. Man bildete Parallelwelten wie eben auch die des Böhmischen Praters. Der Böhmische Prater war ein Refugium, in dem die Migranten vor Ausgrenzung verschont blieben. Man war unter sich.

Dass der Böhmische Prater gerade an dieser Stelle entstand, ist kein Zufall.

  • Lage außerhalb der Stadt (Vermeidung der Verzehrsteuer, Verbot von Tanzveranstaltungen in der Stadt),
  • Nahe gelegene Kundeschichten:
    • Soldaten aus dem Arsenal,
    • Arbeiter aus Favoriten und Simmering,
    • Ziegelarbeiter der benachbarten Ziegeleien,
  • arbeitsfreier Sonntag und geregelte Arbeitszeiten ab 1895,
  • Germanisierungsdruck seitens des Bürgermeisters 1895-1910
  • Förderung der tschechischen Minderheit im Roten Wien

In diesem Aufsatz wird die Geschichte des Böhmischen Praters erzählt.

  • Die Örtlichkeit
  • Die treibenden Kräfte
  • Die Chronik
  • Persönliche Erinnerungen
  • Bilder, Literatur

Die Örtlichkeit

Das Erholungsgebiet „Laaer Wald“ rund um den Böhmischen Prater ist das Gebiet zwischen Laaerbergstraße im Westen, Ostbahn/Aspangbahn im Osten, Bitterlichstraße im Süden und Urselbrunnengasse im Norden. Das Gebiet besteht aus dem teilweise wiederaufgeforsteten Laaer Wald und aus der Parkanlage Löwygrube.

Der Böhmische Prater besteht aus Fahrgeschäften, Imbissstuben, einer Veranstaltungshalle und Gaststätten entlang der Straße „Laaer Wald“, die den Wald durchquert. Im oberen Laaer Wald gibt es in einem Naturschutzgebiet den Butterteich und den Blauen Teich, die an die dortige Ziegelei der Wienerberger AG erinnern, die eigentlich der Ursprung des Böhmischen Praters im 19. Jahrhundert war.

Die Löwygrube ist das Areal einer ehemaligen Ziegelei, deren Abbaugruben in der Nachkriegszeit als Mülldeponie dienten. Der riesige Müllberg wurde mit Asphalt versiegelt, mit Erde beschüttet und ist heute eine Hundezone.

Die Heimkehrersiedlung zu beiden Seiten der Bitterlichstraße stammt aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Weitere Kleingartensiedlungen, die den Erholungsraum etwas einengen, stammen der Zeit des Baus der Südosttangente, wo die durch den Straßenbau gekündigten Kleingärtner wieder angesiedelt wurden

Der Laaer Wald ist aus Favoriten über die Puchsbaumgasse erreichbar. Bei der Urselbrunnengasse wird die Puchsbaumgasse zur Straße „Laaer Wald“. Der Zugang über die Quellenstraße wird seit dem Abriss der Ausfahrt Simmering neugestaltet. Aus Richtung Simmering gibt es zwei Zugänge für Fußgänger, die Bahnübergänge in Verlängerung der Geiereckstraße und der Grillgasse.

Wer heute durch den Laaer Wald spaziert, hat nicht den Eindruck in einer Großstadt zu sein. Man erlebt ein Paradies für Läufer, Wanderer und Hunde. Im Wald sind Eichen die dominierende Baumart. Beim Werklmann, im Bierstadl oder beim Spengerwirt (heute Groissböck und Hutschenbräu) einzukehren, ist ein Muss. Eine Fahrt mit dem Riesenrad oder mit dem Autodrom rundet einen solchen Ausflug ab.

Doch wie ist dieses Paradies entstanden? Es liegt heute so abseits von der Stadt, dass man sich fragt, warum man für diese Freizeitzone nicht einen zentraleren Ort ausgewählt hat. Um das zu verstehen, muss man weit in die Geschichte der Stadt und des Bezirks zurückgehen.

In der Zeit unmittelbar vor der Entstehung des Böhmischen Praters war der Laaerberg eine Industriezone, die von vier Ziegeleien dominiert war.

Ziegeleien am Laaerberg um 1870

Die treibenden Kräfte

Was war die eigentliche Ursache hinter all den Umwälzungen des 19. Jahrhunderts? Warum kam es zu einer Revolution? Woher kamen die Menschen, die in die Städte strömten? Warum hatten sie so schlechte Lebensbedingungen? Warum war der Prater im Laaer Wald böhmisch? Warum siedelten sich so viele Menschen in den Vorstädten an? Warum schließlich ist der Böhmische Prater grade an dieser Stelle entstanden?

Geologie

Favoriten erstreckt sich auf den Abhängen von Laaerberg und Wienerberg bis zur Donauterrasse des Arsenals. Geologisch sind diese Hügel die östlichsten Ausläufer der Alpen. Die Gebirgsbildung erfolgte zwischen 135 und 30 Millionen Jahren.

Zwischen 30 und 8 Millionen Jahren war der Alpenostrand das Ufer der Paratethys, einem flachen Meer, in das die urzeitliche Donau mündete. Der Laaerberg war damals eine langgestreckte Erhebung unter der Wasseroberfläche. Vor etwa 11 Millionen Jahren entstand aus dem Meer der Pannon-See, der bis etwa vor 8 Millionen Jahren bestand. Diese Epoche nennt man Pannonium.

Das Wiener Becken war vom Pannon-See bedeckt
So könnte es bei uns zur Zeit des Pannon-See ausgesehen haben

In all diesen Äonen lagerten sich Sedimente ab, die man heute als „Wiener Tegel“ bezeichnet. Der Boden ist nicht homogen, sondern wurde in den Eiszeiten von abgelagertem Schotter der Donauterrassen in mehreren Schichten überlagert.

Der Tegel an den Berghängen von Laaerberg und Wienerberg ist besser abbaubar, weil er praktisch keinen Donauschotter enthält, daher waren die Abhänge dieser Hügel auch bevorzugter Standort von Ziegeleien.

Durch die große Nähe der Ton-Abbaugebiete zur Stadt ergaben sich kurze Transportwege.

Landflucht

Man kann die Entstehung des Böhmischen Praters nur verstehen, wenn man das seit dem 18 Jahrhundert stattfindende Phänomen der Landflucht einbezieht.

Unter „Landflucht“ versteht man, dass die Bevölkerungsdichte in den Städten zunimmt und gleichzeitig in den ländlichen Gebieten abnimmt. Die Landflucht setze schon im 18. Jahrhundert ein und setzt sich bis heute fort. Damals, im 19. Jahrhundert, hatte die wachsende Landflucht zwei Ursachen:

  • Bauernbefreiung durch Aufhebung der Leibeigenschaft (in Österreich teilweise schon unter Maria Theresia und ihren Sohn Josef II., 1848 durch Hans Kudlich)
  • Steigende Produktivität in der Landwirtschaft (zum Beispiel durch Studien von Peter Jordan)
Bauernbefreiung in Etappen: Maria Theresia, Josef II., Hans Kudlich

Die Bauern waren nunmehr frei in der Wahl ihres Arbeitsplatzes. Doch durch die steigende Produktivität der Landwirtschaft, wurde in der Landwirtschaft nicht mehr so viel Personal benötigt. Die gleichzeitig stattfindende Industrialisierung lockte die Arbeitskräfte in die Städte, ohne sie aber gleichzeitig gesetzlich zu schützen. Der Lohn und die Lebensbedingungen folgten dem ungezügelten Prinzip von Angebot und Nachfrage, was zu einer dramatischen Verelendung führte, die sich erst durch die Entdeckung der Solidarität und ein selbstbewussteres Auftreten der Arbeiterschaft verringerte.

Vereinfach gesagt könnte man sagen, dass die 1848-er Revolution eine solche der Bürger war und die durch Streik erkämpften Rechte 1895 eine solche der Arbeiter war. 1848 wurde durch die Aufhebung der Leibeigenschaft eine stetig wachsende Wanderbewegung in die Städte ausgelöst, 1885 erkämpften die bis dahin rechtlosen Arbeiter grundlegendes Arbeitsrecht.

Wachstum der Stadt

Diese Wanderungsbewegung vom Land in die Stadt ließ die Städte aus allen Nähten platzen.

Wien wuchs zwischen 1848 und 1914 um mehr als das Sechsfache, während sich die Bevölkerungszahl von Paris in diesen Jahren nur etwa verdoppelt hat. Wien war um 1914 die fünftgrößte Stadt der Welt.

Zusätzlich gab es einen wesentlichen Unterschied zu Berlin, Paris und London. Während in allen diesen Metropolen im Umland dieselbe Sprache gesprochen wurde und daher die Zuwanderer nicht weiter auffielen, kamen die Zuwanderer in Wien aus den Kronländern, jedes mit einer eigenen Kultur, Religion und Sprache. Der größte Teil kam aber aus Böhmen, Mähren und Galizien. Slowaken und Ungarn waren weniger vertreten, gehörten sie doch seit 1867 zur ungarischen Reichshälfte und orientierten sich eher nach Budapest als nach Wien. Diese Völkermischung ergab jede Menge sozialen Zündstoff, Wien war eine Geburtsstätte für Nationalismen jeder Spielart auf engstem Raum konzentriert.

Vielvölkermischung im rasch wachsenden Wien

Die damaligen Migranten waren keine Ausländer, wurden aber als Fremde im eigenen Land gesehen. Freundlich hat man sie nicht empfangen.

Die Tschechen wohnten vorzugsweise im 3., 10., 11., 15., 16., und 20. Bezirk, also in damals wie heute günstigeren Wohngegenden. Eine gute Vorstellung von den damaligen Lebensumständen der Zuwanderer bekommt man, wenn man die Situation der Türken von heute mit denen der Tschechen von gestern vergleicht.

Favoriten war böhmisch

Favoriten war eine tschechische Hochburg. Man nannte den Bezirk auch „Šesták-Bezirk“, abgeleitet von dem „Sechserl“ (= 6 Kreuzer), einer kleinen Münze, die symbolisch für das geringe Einkommen der Arbeiterfamilien stand. Wer nach 22 Uhr nach Hause kam, musste dem Hausbesorger ein solches Sechserl für das Aufsperren bezahlen, denn damals hatten die Mieter noch keinen eigenen Haustorschlüssel. Bei der Währungsreform 1857 wurden aus dem Sechserl 20 Kreuzer, doch das änderte nichts am Sprachgebrauch. Robert Stolz verewigte die Münze 1920 in der Operette „Sperrsechserl“. In dieser Zeit war diese Münze schon 63 Jahre nicht mehr im Umlauf aber der Begriff war immer noch Teil der Alltagssprache.

Operette „Das Sperrsechserl“ von Robert Stolz

Nach den Ergebnissen der jährlichen Volkszählungen war Wien nach Prag die zweitgrößte böhmische Stadt gewesen. Dazu muss man aber wissen, dass die Zuwanderer einem großen Assimilationsdruck ausgesetzt waren und bei der Frage nach der Umgangssprache aus Rücksicht auf ihren Beruf auch dann „Deutsch“ angaben, wenn das gar nicht zutraf. Dazu kommt der Zeitpunkt der Volkszählung. Man setzte die Volkszählung immer im Dezember an, weil dann viele Saisonarbeiter in den Ziegeleien und im Baugewerbe in ihre Heimatdörfer zurückkehrten. Man nannte sie wegen dieser saisonalen Wanderung „Böhmische Schwalben“.

Bezieht man diese Randbedingungen in die erhobenen Zahlen mit ein, kann man durchaus auf die Idee kommen, dass Wien sogar die größte tschechische Stadt überhaupt war.

Steuereinhebung

Die Stadt Wien war Teil von Niederösterreich, doch ihre kommunalen Aufgaben erforderten zusätzliche Einnahmen, die sich die Stadt aus der Besteuerung des Warenverkehrs in die Stadt holte. Praktisch war, dass die zweite Stadtmauer, die „Linie“, die 1704 als Schutz gegen Angreifer im Verlauf des heutigen Gürtels errichtet wurde, als Steuergrenze verwendet werden konnte. An den Linienämtern bei den Einfahrtstoren hob man für alle eingeführten Waren bis 1900 eine Steuer (Verzehrsteuer) ein, auch noch dann, als der Linienwall bereits abgerissen war. Die mit der Steuereinhebung betrauten Beamten nannte der Volksmund wegen ihrer grünen Uniform „Spinåtwåchter“. Einige Linienämter sind bis heute erhalten.

Die Verzehrsteuer hatte zur Folge, dass die Wiener innerhalb der Linie zur Konsumation in die Gemeinden in der Vorstadt fuhren, weil dort Speisen und Getränke billiger waren. Davon profitierten die Ottakringer Brauerei (auch bezeichnet als „des Heiligen Römischen Reichs größtes Wirtshaus“) und der Böhmische Prater.

Schwer belastet die Verzehrsteuer die Bevölkerung

Diese Steuer war also ein wichtiger Grund für alle Zuwanderer, sich nicht in den inneren Bezirken anzusiedeln, sondern außerhalb.

Wohnbau (Gründerzeit)

In diesen Gründerzeit-Jahren wurde ein gigantischer Bauboom ausgelöst. Zwar begann alles mit den Prunkbauten an der Ringstraße, doch wollten die Arbeiterheere auch untergebracht werden und dazu brauchte man Ziegel, sehr viele Ziegel.

An den südlichen Hängen von Laaerberg und Wienerberg reihte sich in der Gründerzeit eine Ziegelei an die nächste, die meisten von ihnen gehörten Heinrich Drasche, der sein Ziegelimperium 1879 durch Überführung in die Wienerbeger AG kapitalisierte. (Die Drasches leben heute noch vom Kapital ihres Ahnherren.)

Die Ziegeleien waren abgeschlossene Welten fern der Stadt. Lebensmittel mussten in werkseigenen Kantinen mit Werksgeld bezahlt werden. Gearbeitet wurde von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, arbeitsfreie Tage gab es nicht. Eine gute Kundschaft waren also die Ziegelarbeiter zunächst nicht.

Industrialisierung

Die Infrastruktur für die Bahnlinien war sehr personalintensiv. Süd- und Ostbahnhof mit ihren Heizhäusern, die Simmeringer Waggonfabrik und die Zentralwerkstätte der ÖBB in der Grillgasse waren die großen Arbeitgeber. Dazu kamen später Betriebe wie die Ankerbrotfabrik und Felten & Gouilleaume, Saurer und viele andere.

Alle diese Betriebe lagen in kurzer Distanz zum Laaer Wald. Der Laaer Wald war praktisch das Zentrum jener Gesellschaftsschichten, die Abwechslung suchten.

Die Lage des Laaer Waldes

Der Laaer Wald mit dem Böhmische Prater lag damals außerhalb der Stadt und gehörte seit 1849 zur Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha. Tanzveranstaltungen waren das Geschäftsmodell in dieser Gegend.

Den Anfang machte die Kantine der Ziegelei am Laaer Wald. So eine Ziegelei war eine abgeschlossene Welt. Dort wurde geboren, gearbeitet und gestorben. Eine Kantine diente der Versorgung der Arbeiterschaft. Vielfach wurde kein Lohn ausbezahlt, sondern nur Wertmarken (Trucksystem). Diese Wertmarken konnten nur in den werkseigenen Kantinen eingelöst werden.

Die Kantine im Laaer Wald hatte aber – anders als die anderen weiter südlich – noch weitere Kunden aus der nahen Stadt, aus dem nahen Arsenal und aus der Industrie der Bahnbetriebe. Außerdem lag sie außerhalb der Stadt. Daher expandierte die Kantine und bot dem zahlenden Publikum Tanzveranstaltungen an, etwas, das in der Stadt untersagt war.

Alle diese Zutaten waren das Biotop, aus dem der Böhmische Prater entstand. Ein großer Teil der Favoritner Bevölkerung waren Tschechen, ebenso die Arbeiterfamilien in den Ziegeleien. Tanzlokale verlagerten sich wegen des Verbots der Fünfkreuzertänze nach Niederösterreich. In Favoriten war es das Gebiet des Böhmischen Praters mit einem einmaligen Einzugsgebiet. Im Osten die Simmeringer Maschinenbetriebe, im Süden die Ziegeleien, im Westen das große Favoriten und im Norden die Militäranlage des Arsenals.

Einzugsgebiet des Böhmischen Praters
weiß: Militär, rot: Bezirke, blau: Industriebetriebe, braun: Ziegelarbeiter (ab 1895)

Damals verlief die Grenze zwischen Simmering und Favoriten als „Grenzstraße“ durch den Böhmischen Prater. Erst später wurde die Grenze dem Verlauf der Ostbahn angepasst.

Anfangs machten die Ziegelarbeiter gar nicht das Gros des Publikums aus, kannten doch die Ziegeleien keinen freien Arbeitstag. Erst mit dem 1. Mai 1895 erkämpften die Ziegelarbeiter, unterstützt durch Viktor Adler und Jakob Reumann, den freien Sonntag und wurden damit zu Kunden im Böhmischen Prater.

Parallelgesellschaften

Wo immer auf der Welt man Emigranten beobachtet, bilden sie in ihrer neuen Heimat Strukturen (Vereine, Sport, Religion), die sie mit ihren Herkunftsländern verbinden. Und solange es sich um kleine Minderheiten handelt, spielen diese Parallelwelten auch kaum eine Rolle.

Wenn eine Großstadt wie Wien wächst, dann erfolgt dieses Wachstum immer durch Zuzug und nicht durch Geburten. Wenn sich Wien also zwischen 1848 und 1914 versechsfacht hat, dann durch fremdsprachige Zuwanderer. Durch die gegebene Landessprache und einen großen Assimilationsdruck wurden Neuankömmlinge rasch eingedeutscht. Bei der Schreibweise der Namen kann man das gut beobachten. Oft schon beim ersten Kontakt mit den Behörden wurden die Namen eingedeutscht. Man hatte es leichter, wenn dort „Schedivy“ stand und nicht „Šedivý“.

Man neigte dazu, die Größenverhältnisse völlig zu verkehren, wie dieses Bild zeigt. Die Politik schürt Ängste, damals wie heute.

Der Slave und der Jude im Vergleich mit dem Deutschen Michel

Die attackierten Zuwanderer flüchteten sich in Parallelwelten. Ein solches Refugium war der Böhmische Prater.

Die Chronik

Vorindustrielle Zeit, 1800

In der Zeit vor der Besiedelung und industriellen Nutzung des Südens von Wien, also vor etwa 1800, gab es am gesamten nördlichen und südlichen Abhang des Laaerbergs und des Wienerbergs nichts als Felder. Die bewirtschaftenden Bauern lebten innerhalb der äußeren Stadtmauer, der „Linie“. An die früheren Flurnamen erinnern noch Straßenbezeichnungen in Favoriten wie zum Beispiel „Absberggasse“. Siehe Artikel „Simmering vor 200 Jahren“

Die Spinnerin am Kreuz, der Rote Hof – und das „Simmeringer Waldel“ waren die einzigen Landmarken am Wienerberg und Laaer Berg. Der heutige Laaer Wald ist also eine der ältesten benannten Landmarken im Süden von Wien.

Ziegelindustrie, 1819

Vor 1800 baute man vorzugsweise aus Stein. So ist etwa der Stephansdom aus den Steinen eines Steinbruchs aus Mannersdorf am Leithagebirge errichtet und das Schloss Schönbrunn aus den Steinen von Kaisersteinbruch.

Alois Miesbach war der Gründer der „Wiener Ziegelindustrie“. Schon am Anfang des 19. Jahrhunderts erlernte der Soldat der Napoleonischen Kriege bei Fahrten nach Italien die Herstellung von Tonwaren und pachtete 1819 sein erstes Ziegelwerk in Meidling, dem noch viele weitere folgen sollten. Die Nachfrage nach dem Baustoff Ziegel war groß, die Qualität seiner Ziegel gut. Miesbach stieg zum größten Ziegelproduzenten der Monarchie auf.

In dieser Zeit gab es Favoriten noch gar nicht.

Die Ziegelbarone Miesbach und auch sein Nachfolger Drasche galten nicht als kapitalistische Ausbeuter. Sie behandelten ihre Arbeiter gut, sorgten für medizinische Versorgung und waren auch Gönner der Gemeinden. Das Leben in den Ziegeleien war dennoch kein leichtes.

Eisenbahnbau, 1840

Der Bau der Bahnhofsanlagen begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die heutige Lage von Süd- und Ostbahnhof war das realisierte Projekt, aber es gab auch Pläne, einen Bahnhof im Bereich des Donaukanals zu errichten. Die Streckenführung der damals angelegten Bahnlinien folgte mehr dem Bedarf des Militärs als dem der Wirtschaft.

Die erste Ansiedlung im Bereich des heutigen Favoriten war rund um die beiden Bahnhöfe, den Gloggnitzer Bahnhof (später Südbahnhof) und den Raaber Bahnhof (später Ostbahnhof). Die Siedlung gehörte zuerst zum 4. Bezirk und man nannte sie „Siedlung vor der Favorita-Linie“. Dass sich die Arbeiterfamilien außerhalb der Stadtmauer ansiedelten, war durch die Nähe zum Arbeitsplatz gegeben, darüber hinaus war das Leben außerhalb der Stadt günstiger.

Raaber und Gloggnitzer Bahnhof etwa um 1840.
Rechts sieht man die ersten Häuser an der Favoritenstraße und Laxenburgerstraße

Revolution, 1848

Der Aufstand der Bürger 1848 erschütterte das Herrscherhaus und kein Satz des Kaisers Ferdinand I. charakterisiert das so treffend wie „Ja, dürfen’s denn des“. Den Forderungen der Bürger nach grundlegenden Rechten und einer Verfassung wurden nicht entsprochen, der Nachfolger von Ferdinand I., Franz Josef I. regierte weiterhin absolutistisch. an Stelle einer Verfassung wurden Kasernen (Rossauer Kaserne, Arsenal) errichtet, um auf eventuelle zukünftige Aufstände besser gerüstet zu sein. Erst nach zwei militärischen Niederlagen bei Solferino und Königgrätz kam es 1867 zum Ausgleich mit Ungarn und zur Reichsteilung in eine ungarische und österreichische Reichshälfte, verbunden mit jenen Grundrechten, die uns bis heute begleiten.

Aber ein wichtiges Gesetz wurde dennoch bereits 1848 beschlossen und vom Kaiser bestätigt: das Gesetz zur Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern und die Verpflichtung zur Zahlung des Zehenten. Der junge Jurist Hans Kudlich, dessen Eltern selbst noch Zehent pflichtig waren und die ihrem Sohn ein Jusstudium in Wien ermöglichten, wurde bei den Revolutionskämpfen durch einen Bajonettstich verwundet, kam in ein Sanatorium und brachte im Juli 1848 als junger Abgeordneter das Gesetz zur Befreiung der Bauern ein. Er selbst musste aus Österreich des Franz Josef flüchten und fand in den USA eine neue Heimat. Aber sein Gesetzesvorschlag hatte Bestand und war mit ein Grund, warum ab 1848 dieser starke Zustrom an Wirtschaftsflüchtlingen einsetzte und erst mit dem Ersten Weltkrieg ein Ende fand.

Arsenal, 1857

Militärische Gesichtspunkte machten es erforderlich, eine Kaserne bei den neuen Bahnhöfen zu errichten. Der Bau des Arsenals wurde gleich nach dem Revolutionsjahr 1849 begonnen und 1857 fertiggestellt. Die 100 Millionen Ziegel dazu lieferte das Ziegelimperium des Alois Miesbach.

Was aber tun Soldaten in der Freizeit? Straßenbahnen sind noch nicht erfunden, also braucht es geeignete Etablissements in der Nähe. Genau das leistete der Böhmische Prater. Aber es sollte noch länger dauern, bis dort ein Vergnügungsviertel entstand.

Favoriten, 1867

1867 wurde diese „Siedlung vor der Favorita-Linie“ als erster Bezirk außerhalb der „Linie“ (Linienwall = heutiger Gürtel) als 10. Bezirk eingemeindet. Die Bezirksgrenzen waren dem anfänglichen Siedlungsgebiet angepasst. Der Bezirk endete östlich im Bereich der Absberggasse. Der heutige Böhmische Prater lag daher damals außerhalb der Stadt, ein nicht unwichtiger Aspekt für den späteren wirtschaftlichen Erfolg, wie wir noch sehen werden.

Ziegelei am Laaer Wald, 1855

Um 1855 erwarb Drasche die Ziegeleien am Laaer Wald und am Laaerberg und erhöhte damit seine Lieferkapazität bedeutend. Bis 1873 wuchs sein Ziegelimperium zur größten Ziegelfabrik der Welt.

Die Ziegelei am Laaer Wald lag der Stadt am nächsten und die dortige Kantine entdeckte um 1880 das Geschäft mit der Unterhaltung und den Kunden aus der Umgebung

  • Bewohner von Simmering und Favoriten
  • Arbeiter der Bahn- und Industriebetriebe, zum Beispiel auch der Ankerbrotfabrik
  • Soldaten des Arsenals

Die Umgangssprache in diesen Kundenschichten war überwiegend Tschechisch.

Es ist alles angerichtet, aber den Böhmischen Prater gibt es immer noch nicht.

Verelendung durch Kapitalgesellschaft, 1873

Heinrich Drasche brachte 1873 die früheren „Wiener Ziegelwerke“ als „Wienerberger Aktiengesellschaft“ an die Börse. Konnten die früheren Ziegelbarone noch in dem einen oder anderen sozialen Notfall bei den Arbeiterfamilien ihre gönnerhafte Rolle ausspielen, war das bei der Aktiengesellschaft nicht mehr so einfach.

Beispiel Arbeiterwohnhäuser

Ein typisches Arbeiterwohnhaus wurde – je nach Bauweise – für 8-12 Familien entworfen, und in dieser Belegung war der Wohnraum auch akzeptabel. (Man kann solche Häuser noch in Vösendorf sehen. Auch das Ziegelmuseum in Leopoldsdorf ist in einem solchen Haus untergebracht.) Sollte es in den Zeiten der Ziegelbarone zu einer unerträglichen Überbelegung gekommen sein, ließen diese mit sich reden und man hat eine Lösung gefunden.

Typisches Arbeiterwohnhaus

Das änderte sich mit der Kapitalgesellschaft. Das Prinzip, eine Ware zum günstigsten Preis einzukaufen, galt nicht nur für Rohstoffe, sondern auch für die Löhne und den Aufwand für die Unterbringung und Versorgung. Die durch die stärker werdende Landflucht wachsenden Heere von Arbeitssuchenden standen durch Rationalisierungen immer weniger Arbeitsplätze gegenüber. Die Folge war, dass die Löhne sanken und der Aufwand für die Unterbringung und Versorgung auf null reduziert wurde.

Anstatt für die Neuankömmlinge weitere Arbeiterwohnhäuser zu errichten, wurden in einem Zimmer für eine Familie bis zu 70 Meschen untergebracht. Wohnräume wurden zu Massenquartieren.

Geld wurde nicht ausbezahlt, nur Wertmarken (Truck-System) und dieses „Blechgeld“ konnte nur in den werkseigenen Kantinen ausgegeben werden – zu überhöhten Preisen, versteht sich. Man verdiente also an den Arbeitern doppelt und schaffte mit den Kantinen ein Monopol, weil es den Arbeitern bei Androhung der Kündigung untersagt war, anderswo als in der ihnen zugewiesenen Kantine einzukaufen.

Start des Gaststättenbetriebs, 1882

Die Kantine im Ziegelwerk Laaer Wald hatte aber wegen ihrer Nähe zur Stadt die Möglichkeit auch externe Kunden anzusprechen – und tat es auch. So entstand 1882 das erste Gasthaus für das Publikum im Laaer Wald mit Sonntagsbetrieb. Erweitert wurde das Freizeitangebot durch einen Tanzsaal.

1882 Erste Konzessionen für Sonntagsbetrieb von Franz Bauer und Anton Svoboda (Slapansky, 1992, S. 70).

Nachdem sich dann schon mehrere Gaststuben im Waldgebiet etabliert hatten, wurde es für die zuständige Gemeinde Oberlaa zunehmend schwierig, dieses zu überwachen. Die Gemeinde drückte aber ein Auge zu, denn jeder Gastwirt spendete jährlich 100 Gulden in den Armenfonds der Gemeinde. Die Pacht betrug 150 Gulden und war an den Grundstückseigner die Wienerberger Ziegelfabriks- und Baugesellschaft zu entrichten. (Slapansky, 1992, S. 68)

1884 gab es schon 20 Gasthausbetriebe.

Fünfkreuzertänze, 1886

Der beliebteste Zeitvertreib in den wenigen arbeitsfreien Zeiten waren sogenannte Fünfkreuzertänze. Die Herren zahlten fünf Kreuzer, die Damen tanzten gratis. Zum Vergleich: eine Semmel kostete damals 10 Kreuzer.

Fünfkreuzertanz

Diese Tanzveranstaltungen aber waren dem Gemeinderat verdächtig.

Die Wiener Stadtregierung verbot 1886 die Fünfkreuzertänze im Stadtgebiet, was die Kunden logischerweise in die Lokale außerhalb der Stadt trieb, allen voran in den Böhmischen Prater, der in den Zuständigkeitsbereich der Bezirkshauptmannschaft von Bruck an der Leitha fiel. Diese Unterhaltungsform des Fünfkreuzertanzes war das ursprüngliche Geschäftsmodell der ersten Schausteller im Böhmischen Prater.

Dieses Verbot erinnert an das heutige Glücksspielverbot in Wien, das den Umlandgemeinden Einnahmen beschert.

Wegen des riesigen Einzugsgebiets gesellten sich ab 1886 rasch weitere Gasthäuser und Tanzlokale zu der Kantine des Ziegelwerks, ein großer Vergnügungspark entstand.

Immer noch waren aber die Ziegelarbeiter keine zahlenden Kunden und ihre Lebensumstände verschlechterten sich fortwährend.

Gearbeitet wurde vom Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, im Winter also etwas weniger als 12 Stunden, im Sommer auch mehr. Einen arbeitsfreien Tag gab es nicht, und wegen des Truck-Systems waren die Ziegelarbeiter anfangs auch keine guten Kantinen-Kunden für das Wochenende.

Viktor Adler, 1888, 1895

Viktor Adler veröffentlichte im Dezember 1888 seinen Bericht über die schrecklichen Zustände in den Ziegelwerken südlich von Wien. Dieser Bericht war zwar ausschlaggebend für die Gründung der Sozialistischen Partei änderte aber immer noch nichts an den Lebensumständen der Ziegelarbeiter. In der Arbeiterschaft musste sich erst so etwas wie ein Klassenbewusstsein und Bereitschaft zur Solidarität ausbilden.

Streik der Ziegelarbeiter, 1895

Es dauerte bis April 1895, als es zu einem Streik in allen Ziegelwerken kam. Die Arbeiter wurden von Viktor Adler und Jakob Reumann unterstützt.

Darstellung des Streiks im „Kikeriki“

Das für die Arbeiter erfreuliche Ergebnis war:

  • Abschaffung des Trucksystems
  • Faire Löhne
  • Arbeitsfreier Sonntag
  • Arbeitsfreier Erster Mai

Und erst ab diesem ersten Ersten Mai im Jahr 1895 wurden die Ziegelarbeiter zu Kunden im Böhmischen Prater. Ein Bild von Ziegelarbeitern mit Viktor Adler im Böhmischen Prater erinnert an diesen historischen Tag.

Victor Adler im Kreise der Ziegelböhm im Laaer Wald

Was für die Bürger das Jahr 1848 war, war für die Arbeiterschaft von Wien das Jahr 1895.

Der Böhmische Prater erlebte seinen ersten Höhepunkt, weil ihm die erkämpfte Freizeit der Ziegelarbeiter eine neue Kundenschicht bescherte. Zu der ersten Kantine der Ziegelei an der Laaerbergstraße gesellten sich weitere Gastwirtschaften mit teilweise riesigen Tanzsälen für bis zu 1000 Personen.

Die damaligen Unterhaltungsbetriebe waren auf das ganze Waldgebiet verteilt.

Zeitungsbericht, 1897

Das Extrablatt berichtet am 18. Juni 1897 auf der Titelseite „Der kleine Prater in Favoriten“.

Der schöne Karl, 1895-1910

Das Bild, das in den Liedern von Heinz Conrads in den 1950er-Jahren von den Tschechen gezeichnet wurde, ist ein beschönigendes Bild im Nachhinein. Die Lage der Tschechen von 1900 entsprach viel eher dem der heutigen Türken in Wien.

Damit ein Christlich-Sozialer in Wien Bürgermeister werden kann, dazu muss man schon das Wahlrecht gehörig „verbiegen“. Es gab damals auch nicht ein allgemeines und gleiches Wahlrecht, sondern ein Kurienwahlrecht, bei dem das Publikum nur einen Teil der Sitze bestimmen konnte. Und auch mit diesem Startvorteil musste Lueger zum Mittel der populistischen Agitation greifen, um Stimmen auf dem Rücken der Zuwanderer und Juden zu gewinnen.

Der schöne Karl

Der Betrieb eigener tschechischer Schulen wurde seitens der Stadtverwaltung erschwert, seitens von Niederösterreich begünstigt. Der Assimilationsdruck war groß, ebenso diesem Druck entgegengerichteten Parallelwelten.

Erster Weltkrieg, 1914-1918

Der Geschäftseinbruch im Böhmischen Prater in der Zeit des Ersten Weltkriegs war enorm und konnte sich erst in den 1920er-Jahren erholen. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ist die Heimkehrer-Siedlung an der Bitterlichstraße entstanden. Dort befanden sich vorher Weingärten des Stifts Klosterneuburg. Ebenso war die Gründung von Schrebergärten ein wichtiger Faktor bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln.

Wiener Tschechen, 1918-1938

Die wichtigsten Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg waren:

  • Allgemeines, gleiches Wahlrecht
  • Wahlrecht für Frauen
  • Wien wird eigenes Bundesland

Seither gibt es in Wien eine sozialistische und in Niederösterreich eine konservative Mehrheit. Die Zeit bis 1934 nennt man das „Rote Wien“.

Man könnte meinen, dass mit dem Ersten Weltkrieg die Gründerzeit ein jähes Ende nahm und mit ihm die Bautätigkeit, doch die Bautätigkeit im Roten Wien übertraf noch die der Gründerzeit. Der Unterschied war nur, dass die Gewinne der Ziegelwerke zurückgingen, standen sie nunmehr nicht vielen kleinen Bauträgern, sondern einem großen, der Gemeinde, gegenüber.

Die Lage der Tschechen in Wien änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg grundlegend. Im Roten Wien erlebten die Tschechen eine wahre Hochblüte. Zwar wanderten nach dem Krieg etwa 200.000 zurück in die Tschechoslowakei zurück, doch die verbliebenen profitierten von einem Minderheitenstatus, der ihnen durch den Friedensvertrag von St. Germain garantiert wurde. Praktisch bedeutete es, dass es den Wiener Tschechen gestattet war, eigene Schulen zu betreiben, wobei die Gebäude vom Tschechischen Staat, die Lehrer aber von Österreich bezahlt wurden. Diese Vereinbarung gilt bis heute.

Das gesellschaftliche Leben der Tschechen in Wien konnte sich ohne Repressalien entwickeln. Der Erfolg waren 32 tschechische Schulen. Während in der Monarchie in Simmering die vierklassige tschechische Volksschule in einem Gasthaus unterkommen musste, wurde nach dem Ersten Weltkrieg bis 1938 eine tschechische Volksschule in der Simmeringer Brehmstraße betrieben.

Für den Böhmischen Prater war diese Zeit bis 1938 eine Hochblüte und übertraf sogar den Boom zu den Zeiten nach dem Ziegelarbeiterstreik.

Am Geschäftsgang der Schausteller im Böhmischen Prater änderte das nichts, die Ziegelarbeiter waren weiterhin ein wichtiger Teil ihrer Kundschaft.

Zweiter Weltkrieg, 1938-1945

Der zweite große Krieg änderte alles. Die tschechische Sprache, tschechische Betriebe, Banken, Vereine und Schulen wurden unmittelbar nach dem Anschluss verboten.

Der Böhmische Prater wurden durch Bombenangriffe zerstört. Nicht, dass der Prater selbst ein Angriffsziel gewesen wäre, aber er lag im Bereich der Bahnlinien und der Industriebetriebe und bekam seine Treffer eher zufällig ab.

Nachkriegszeit, 1945-1970

Die Zahl der Tschechen und damit die typische Klientel für den Böhmischen Prater sank stark. Es gab dafür folgende Gründe:

  • Auswanderung vieler Wiener Tschechen in die menschenleeren Sudetengebiete
  • Überalterung und starke Assimilation
  • Kein weiterer Zuzug wegen des Eisernen Vorhangs
  • Die tschechische Sprache wurde durch das strikte Schulverbot während der Kriegsjahre zurückgedrängt

Aber der Krieg hatte nicht allein Schuld am Niedergang des „kleinen Vergnügens an der Peripherie“, wie es im Untertitel des Buchs von Wolfgang Slapansky heißt. Die Bautätigkeit der Gemeinde nahm ab, nachdem die Zerstörungen durch den Krieg beseitigt worden sind, Ziegelbauweise wurde mehr und mehr durch Betonbauweise ersetzt. Die Ziegelwerke verschwanden und damit die wichtige Kundenschicht der Ziegelarbeiter.

Das Arsenal ist bedeutungslos geworden, es gab auch von dort keine Kundschaft, und die früheren Motive, sich außerhalb der Stadt zu vergnügen, waren auch weg, denn der Böhmische Prater gehörte seit 1938 zu Wien.

Die Wiederaufbaugeneration hatte nicht viel Freizeit.

Das Gebiet rund um den Böhmischen Prater wurde zu einer Gstettn, es wurde wegen seiner Verwahrlosung nicht als Naherholungsgebiet empfunden, mehr noch, man nutzte die verwaisten Lehmgruben der Löwy-Grube als Mülldeponie.

Das Lied „Zwischen Simmering und Favoriten“ von Maria von Schmedes (hier interpretiert von Charlotte Ludwig) erinnert daran, dass viele früheren Ziegelteiche mit dem Abfall der Wiener Bevölkerung zugeschüttet wurden.

Freizeitgesellschaft, 1970 bis heute

In den 1970er-Jahren begann sich die Gesellschaft zu verändern. Mit Einführung der 40-Stunden-Woche hatte man wieder mehr Freizeit, und die Gemeinde bemühte sich, die früheren Gstettn zu revitalisieren.

Es wurde begonnen, die Mülldeponien durch Müllverbrennung zu ersetzen. Die Mülldeponien der Löwy-Grube und von Heubergstätten im Süden wurden versiegelt und die Areale aller ehemaligen Ziegeleien wurden zu Erholungsräumen, teilweise sogar zu Naturschutzgebieten umgestaltet. Favoriten erhielt einen sehens- und lebenswerten Grüngürtel am Südhang des Laaerbergs und des Wienerbergs. Eine Parkanlage reiht sich heute an die nächste: WIG-74, Laaer Wald, Höhnel-Park, Heubergstätten, Wienerberg-Ost, Wienerberg-West.

Der „Böhmischer Prater“, das frühere Vergnügungsviertel für die Arbeiter und Soldaten wurde zu einem Erholungsgebiet für Familien, der Böhmische Prater verwöhnt Jung und Alt mit seinem kulinarischen Angebot und bietet Kindern abwechslungsreiche Fahrgeschäfte. Die früheren Tanzveranstaltungen gibt es nicht mehr; heute sind es regelmäßige Events, die neue Kundeschichten erschließen. Namhafte Künstler treten auf, Feste, wie das Memusi-Drehorgelfest und das Mittelalterfest werden veranstaltet.

Das „böhmisch“ im Namen ist nur mehr eine Reminiszenz an frühere Zeiten. Tschechen gibt es hier nur mehr vereinzelt. Durch das Engagement der Schausteller und Gastwirte kann aber durchaus an frühere Erfolge angeknüpft werden, wenn auch mit einem völlig neuen Publikum.

Erinnerungen an früher

Wer durch diese Gegend spaziert, wird auf Schritt und Tritt daran erinnert, wie diese Gegend eigentlich entstanden ist.

Aus Simmering kann man zwei Bahnübergänge benutzen, um zum Böhmischen Prater zu kommen. Diese Stege wurden in den 1920er Jahren errichtet und in den letzten Jahren erneuert.

Bahnübergang bei der Geiereckstraße

Kommt man über den Bahnübergang Geiereckstraße gelangt man zu einem uralten Gleis, das früher für die Warenlieferungen zur Ankerbrotfabrik diente. Noch kann man das Gleis erkennen.

Gleis zur Ankerbrotfabrik

Jakob Löwy war der Besitzer des Ziegelwerks auf dem Gebiet der nach ihm benannten Löwy-Grube und dem Löwyweg, der die Löwy-Grube mit der Bitterlichstraße verbindet. Er wurde in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet.

Das heutige Hunde-Eldorado Löwygrube verbirgt gekonnt den unter dem Hügel begrabenen Müll der Nachkriegsgeneration. Doch die Entlüftungs- und Messrohre erinnern an den gefährlichen Abfall unter der grünen Wiese. Die Abbauwand am Rande des riesigen Müllhügels ist ein letzter Rest der Ziegelei von Löwy. Am östlichen Rand des Hügels findet man immer noch die durch Gestrüpp zugewachsene LKW-Einfahrt und ebenso das verrostete Einfahrtstor.

Blick auf Simmering
links: Abbauwand der Löwygrube
rechts: versiegelte Müllhalde

Der Ausblick auf Simmering ist prächtig.

Marina-Tower an der Donau
Gasometer
Pfarre Neu Simmering

Der Laaer Wald selbst ist viel älter als der Böhmische Prater, er ist schon auf Landkarten aus 1800 eingezeichnet. Doch der Baumbestand hat durch das Ziegelwerk „Laaer Wald“ sehr gelitten. Die Gemeinde hat dieses durch die Ziegelindustrie so stark beanspruchte Gebiet wieder aufgeforstet, ein Forsthaus am Beginn der Theodor-Sickel-Gasse ist für das Gebiet des Laaerbergs zuständig. Die beiden Teiche im oberen Laaer Wald, der Butterteich und der Blaue Teich, sind die früheren Abbaugruben des Ziegelwerks „Laaer Wald“.

Laaer Wald und Löwygrube

Der Böhmische Prater besteht heute aus der Straße „Laaer Wald“, die bei der Urselbrunnengasse beginnt und beim Parkplatz bei der Löwy-Grube endet. Früher war diese Straße die Bezirksgrenze zwischen Simmering und Favoriten. Sie verläuft quer durch die Löwygrube und die Heimkehrer-Siedlung bis zum Verschiebebahnhof Kledering. Im Verlauf der Verschiebung von Bezirksgrenzen wurde die Grenze zwischen Simmering und Favoriten entlang der Ostbahn gezogen.

Grenzstraße gesehen vom Verschiebebahnhof Kledering in Richtung Laaer Berg

Es gibt zwei Fahrgeschäfte, die zu den ältesten überhaupt gehören. Die „Raupe“ von Otto Geissler (1929, gebaut von Rudolf Rusniak, MeinBezirk) und das Ringelspiel (1892, das älteste erhaltene in Europa) von Ernst Hrabalek. Dieses Ringelspiel soll von Kaiser Franz Josef eröffnet worden sein. (Kurier)

„Die Raupe“, erbaut 1929

Die Südost-Tangente verläuft quer durch die Kleingartenanlagen zwischen dem verbauten Stadtgebiet von Favoriten und dem Böhmischen Prater. Auch deren Bau hatte einen Einfluss auf die heutige Form der Löwygrube. Die Gemeinde hat den durch den Bau der Straße abgesiedelten Kleingärtnern Ersatzflächen entlang der Bitterlichstraße und entlang der Donabaumgasse überlassen, die den Grünraum etwas verkleinern.

Erinnerungen meiner Familie

Meine Familie kam ausschließlich aus den ländlichen Gebieten von Mähren. Der Grund für die Emigration war die Armut in den ländlichen Gebieten; sie waren Wirtschaftsflüchtlinge. Die väterliche Linie war arm und wurde in weiterer Folge Opfer der Nazipropaganda. Die mütterliche Linie konnte nach großer Not in Mähren in Wien Fuß fassen und es zu einigem Wohlstand bringen. Hier geht es nur um die mütterlichen Eltern.

Mein Großvater Franz, dem ich meinen Namen verdanke, hatte in Mähren noch einen älteren Bruder und eine Schwester. Der Bruder übernahm den kleinen Bauernhof, die Schwester heiratete nach Brünn. Mein Großvater musste auf Wanderschaft gehen, bekam aber etwas Wertvolles auf den Weg: eine Ausbildung auf der technischen Gewerbeschule in der Einhornstraße in Brünn. Das ersparte ihm die schwere Arbeit in einer Ziegelei.

Mein Großvater kam nach seiner Schulausbildung in Brünn im Frühjahr 1905 als 22-jähriger nach Wien. Er war bis 1914 Schlosser in der Simmeringer Waggonfabrik und nach der Kriegsgefangenschaft ab 1920 in der Seilerei bei Felten & Gouilleaume in Favoriten. Er war also der typische Besucher des Böhmischen Praters. Besonders nach der Geburt meiner Mutter 1921 werden Sonntagsausflüge auf den Laaerberg zu den wöchentlichen Fixpunkten gehört haben.

Mein Urgroßvater mütterlicherseits war Zimmermann und Alleinverdienter mit fünf Töchtern und einem Sohn. Er verunglückte bei einem Arbeitsunfall.

In dieser Situation fasste die Familie den Entschluss, nach Wien auszuwandern. Der Bruder war der älteste und kam als erster nach Wien. Er erwarb ein Lebensmittelgeschäft in der Quellenstraße, Ecke Absberggasse. Im Jahresabstand holte er seine Schwestern nach Wien. In diesem einen Jahr lernten sie ausreichend Deutsch. Ihr Ziel war „eine gute Partie“. Tatsächlich angelten sie sich zwei Schneidermeister, einen Lebensmittelhändler und einen Beamten. Die jüngste, Julie, meine Großmutter aber war eine Selfmade-Frau, sie blieb im Lebensmittelhandel; zunächst als Angestellte, ab 1924 mit einem eigenen Geschäft in der Grillgasse 38.

Man hat erzählt, dass meine Großmutter um 1910 als Schauspielerin in einem Gasthaustheater auftrat – in einem tschechischen, versteht sich – und dass sie bei diesen Anlässen den Schlosser und ungehobelten Kommunisten-Sympathisant Franz kennen gelernt hat. Ob dieses Gasthaus im Böhmischen Prater war oder ob es nicht eher das tschechische Gasthaus Švagerka in der Kopalgasse 2, weiß ich nicht. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die beiden auch im Böhmischen Prater waren und daher mein Großvater diese Gegend in den 1950er Jahren gerne immer wieder aufgesucht hat.

Es war eine sonderbare Verbindung zwischen einer resoluten Geschäftsfrau und einem dem Kommunismus zugetanen Schlosser. In dieser Familie hatte jedenfalls die Frau die Hosen an.

Meine Großeltern wohnten in der Krausegasse 4, Sedlitzkygasse 47, Grillasse 38 und schließlich in der Lorystraße 17, waren also echte Simmeringer.

Meine Familie war nicht nur aus Wien, sondern gleichzeitig auch Teil der tschechischen Minderheit in Wien Simmering. Meine Großmutter sprach nur sehr schlechtes Deutsch, sie war aber gleichzeitig glühende Österreicherin.

Meine Eltern besuchten beide tschechische Schulen. Meine Mutter besuchte die tschechische Volksschule in der Brehmstraße, die tschechische Hauptschule in der Hainburgerstraße und die tschechische kaufmännische Schule in der Vorgartenstraße. Mein Vater besuchte die tschechische Volksschule in der Schützengasse, die Hauptschule in der Hörnergasse und in der Hainburgerstraße und ebenfalls die tschechische Handelsschule in der Vorgartenstraße.

Dass mein Vater trotz der Armut seiner Eltern eine Handelsschule besuchen konnte, verdankt er einer Freundschaft mit Gustav, der eben diese Laufbahn einschlug. Ohne seine Eltern zu fragen, ging er in das Sekretariat der Handelsschule und meldete sich dort mit einem makellosen Abgangszeugnis der 4. Klasse an, obwohl die Familie sehr mit seinem Berufseintritt und damit einem zusätzlichen Einkommen rechnete.

In den vielen tschechischen Familien unserer kleinen Parallelwelt war es ohne Ausnahme so, dass wenn einer der beiden Ehepartner deutschsprechend war, die Kinder immer eine deutsche Schule besuchten und damit die tschechische Umgangssprache in diesen Familien verschwand.

Die Umgangssprache in meiner Familie war tschechisch. Wir waren eine Großfamilie, denn wir wohnten gemeinsam mit den Eltern meiner Mutter in einer kleinen Wohnung mit Küche und zwei Zimmern. Erst etwa 1960 konnten meine Eltern mit einer Nachbarwohnung die Wohnfläche vergrößern.

In meiner Familie waren aber beide Eltern Wiener Tschechen und daher war es klar, dass auch ich eine tschechische Schule besuchen sollte.

Bis zum 6. Lebensjahr (1954) sprach ich ausschließlich Tschechisch, mein Deutsch war reine Mundart. In der tschechischen Volksschule am Sebastianplatz lernte ich Deutsch als Fremdsprache. Das Familienleben spielte sich ausschließlich in der tschechischen Minderheit ab. Der Hausarzt, der Tischler, die Freunde, alle waren sie Tschechen; man blieb unter sich. Die deutschsprachigen Hausparteien empfand ich selbst als fremd.

Ich frage mich, wie wir zu Hause diesen Böhmischen Prater genannt haben. Dass wir „Český Prátr“ gesagt hätten, glaube ich nicht, wir dürften „Malý Prátr“, also „Kleiner Prater“ gesagt haben. „Böhmischer Prater“ ist eine Bezeichnung, den die Wiener erfunden haben.

Dennoch kannte ich keinerlei Anti-Tschechische Stimmung, so, wie das meine Großeltern in der Lueger-Zeit erlebt haben mussten und wie das die heutigen Zuwanderer erleben; weder in der rein tschechischen Kindheit noch in der späteren Mittelschulzeit.

In den Volksschuljahren unternahm ich mit meinem Großvater ausgedehnte Spaziergänge in die Industriezonen rund um das E-Werk und das Gaswerk in Simmering aber auch auf den Laaerberg, in den Böhmischen Prater. Rückblickend habe ich den Eindruck, als wäre mein Großvater Erinnerungen an seine Jugend gefolgt.

Ein typischer Rundwanderweg war: Neu-Simmering über den Bahnübergang bei der Geiereckstraße, wo er sieben Jahre lang in der Seilerei von Felten gearbeitet hat, über den Böhmischen Prater zurück nach Simmering über den Bahnübergang bei der Grillgasse, wo meine Eltern ein Lebensmittelgeschäft hatten.

Die Zahl der Tschechen in Wien war durch die Entwicklung nach dem Weltkrieg schon sehr gering, und es gab nur mehr eine tschechische Volks- und Hauptschule. Nach der vierten Volksschulklasse wechselte ich in eine die AHS in der Gottschalkgasse, und damit begann sich meine Umgangssprache zu verwandeln.

Damals, in den 1950er Jahren, war die Gegend um den Böhmischen Prater ziemlich verwahrlost und musste in meinem Großvater wehmütige Erinnerungen an schönere Zeiten wachgerufen haben.

Abgesehen von wenigen Bildern, besitze ich als einzigen Artefakt aus dem arbeitsreichen Leben meines Großvaters zwei Briefbeschwerer, die er als Abschiedsgeschenk seines Arbeitgebers 1927 bekam. An meine Großmutter erinnern eine Pendeluhr und ein Thonet-Sessel.

Diese beiden Personen, Großvater und Großmutter waren wohl die prägendsten Menschen meiner Kindheit. Sie verbrachten praktisch die ersten 10 Lebensjahre mit mir, die Eltern waren die Wiederaufbaugeneration, sie standen von früh bis spät im Geschäft.

Immer, wenn ich heute durch diese Gegend spaziere, erinnere ich mich an kleine Details aus der Vergangenheit und daran, wie dieses Gebiet zu dem wurde, was es heute ist.

Bilder

Literatur

Meine Schilderungen betreffen eher die historischen Begebenheiten als das Treiben im Böhmischen Prater selbst. Für Interessenten der Details der Schausteller eintauchen möchte, kann das Buch von Wolfgang Slapansky empfohlen werden. Die aktuelle Situation der Schausteller im Böhmischen Prater beschreibt Karl Puffler.