Am Anfang war ein Bahnhof
Über Favoriten bis zur Eingemeindung
Favoriten ist eine eigene kleine Welt, durch Bahntrassen abgetrennt vom Rest der Stadt. Am Eingang zum FavAC-Platz in der Wieselburgergasse steht: „Sie betreten nun den 10. Bezirk, was vorher war, können Sie vergessen“.
Die Gegebenheiten in Favoriten sind allein durch den Bau der Süd- und Ostbahn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Eigentlich plante der Projektant der Bahnlinien, Freiherr von Sina, diesen Bahnhof am Ufer des Donaukanals etwa an der Wienfluss-Mündung anzulegen, doch das wurde vom Staat abgelehnt, und nur durch diese Ablehnung ist Favoriten wie wir es kennen entstanden.
Der Bezirk ist vom Rest der Stadt durch die Ost- und Südbahn abgetrennt, und nur an wenigen Stellen kann man stadtseitig den Bezirk „betreten“: Längenfeldgasse, Matzleinsdorfer Platz, Südtiroler Platz, Gudrunstraße. Alle diese Straßen unterqueren die Bahntrassen unter teilweise mächtigen Brückenkonstruktionen.
Durch den Neubau des Hauptbahnhofs sind im Osten weitere Außenverbindungen entstanden: Gertrude-Fröhlich-Sandtner-Straße, Canettistraße, Alfred-Adler-Straße, Arsenalsteg und Absbergbrücke/Franz-Grill-Straße.
1841
Bereits 1841 wurde der Vorläufer des späteren Südbahnhofs, der Gloggnitzer Bahnhof errichtet, 1845 der Brucker, später Raaber Bahnhof, der spätere Staatsbahnhof und danach Ostbahnhof. Diese Gebäude hatten nur eine kurze Lebensdauer, denn schon 25 Jahre später wurden sie durch den Staatsbahnhof (ab 1918 Ostbahnhof) und den Südbahnhof ersetzt, woraus man die Bedeutung der Bahn ablesen kann. Die Namen der Bahnhöfe deuten auf die jeweiligen Endstationen Bruck, Raab (Györ), Gloggnitz hin. Bald nach der Fertigstellung der Semmeringbahn 1854 konnte die nunmehr „Südbahn“ genannte Strecke bis Triest befahren werden.
Das Bild eines französischen Malers vermittelt uns die damalige Situation am Bahnhofsvorplatz:
Die Anordnung der Gebäude am Bahnhofsgelände zeigt uns ein Lageplan. Damals war das Bahnhofsrestaurant noch für beide Bahnhöfe gemeinsam in einem zentralen Gebäude untergebracht. Gleichzeitig waren in diesem Gebäude die Verwaltung und Wohnungen untergebracht.
Die Bahnhöfe waren es auch, die die Siedlung außerhalb des Gürtels (außerhalb der Linie) entstehen ließen. Eine Gesamtansicht lässt uns die damaligen Verhältnisse erkennen.
Der wichtigste Eindruck ist, dass der hinter dem Bahnhof dargestellte Laaerberg und Wienerberg fast völlig unbebaut war. Lediglich der Verlauf der durch Bäume flankierte Verlauf der späteren Favoriten- und Laxenburgerstraße sind zu erkennen. Das unterscheidet Favoriten von allen anderen später eingemeindeten Vororten. Es gab keinen bestehenden Ortskern, um den herum dann ein Bezirk entstand. Der Ortskern von Favoriten waren die Bahnhöfe und die ersten Wohngebäude der Bahnarbeiter.
Linienwall
Im Bild rechts unten kann man den Linienwall erkennen. Diese äußere Stadtmauer bestand noch bis 1895. Die Reisenden am Bahnhof kamen also deutlich außerhalb der Stadt an und sahen eine mittelalterlich anmutende Szenerie. Zwischen dem Linienwall, der nicht dem heutigen Gürtel folgte, sondern etwa dem Verlauf der beiden ersten Häuserblöcke folgte (etwa auf Höhe der Weyringertraße) und dem Bahnhof war eine Freifläche mit einer Straße, die der Stadtmauer folgte. Diese Straße hatte damals eine wichtige Versorgungsfunktion, denn im Gebiet von St. Marx war damals ein Viehmarkt (der Schlachthof entstand erst später) und der dazugehörige Schlachthof befand sich in Meidling. Die Tiere wurden auf einer eigenen Verbindungsstraße, die etwa dem heutigen Gürtel folgt, transportiert. An diese Verbindungsstraße erinnert die Straßenbahnhaltestelle „Marx-Meidlinger“ im 12. Bezirk.
Das Bahnareal und auch die ersten Häuser gehörten damals zu Wieden.
Viele Bedienstete der Bahn konnten im Verwaltungsgebäude wohnen, doch die große Zahl der Arbeiter wie Heizer, Weichensteller, Verschieber usw. fanden zuerst im benachbarten Bezirk Wieden innerhalb der Stadtmauer eine Wohnstätte. Doch das Leben innerhalb der „Linie“ war teuer, weil die Stadtgemeinde an den Eingangstoren die „Verzehrsteuer“ einhob. Daher wurden erste Wohnhäuser am Beginn der beiden Hauptstraßen in den Süden für das Bahnpersonal errichtet.
Der Rote Hof
Das einzelstehende Gehöft an der Favoritenstraße in Bildmitte ist der „Rote Hof“ (heute Rotenhofgasse), ein Betriebsgebäude eines „Fortifications-Ziegelofens“, das 1803 errichtet wurde und bis 1903 bestand. Der Name kommt wahrscheinlich von der roten Farbe des unverputzten Ziegelmauerwerks. Ebenso der Name des heutigen Bezirksteils Rothneusiedl. („Fortifications-Ziegelofen“ nannte man jene Ziegeleien, die für den Bau oder für die Erneuerung von militärischen Befestigungsanlagen verwendet wurden. Erst mit dem Wachstum der Stadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Bedeutung des Wohnbaus zu.)
Das Alte Landgut
Am oberen Bildrand im Verlauf der Favoritenstraße ist das Alte Landgut, zu erkennen. Und auch dieses Bauwerk entstand rund um einen „Fortifications-Ziegelofen“ und entwickelte sich zu einem beliebten Ausflugsziel und zu dem luxuriösen Vergnügungslokal „Casino im Landgut“. Zwischen 1844 und 1851 wurde die Einrichtung als „Gasthof zum Landgut“ geführt. Der Standort war nicht die Gegend des heutigen Verteilerkreises mit der Station „Altes Landgut“, sondern lag etwa im Gebiet, das von Inzersdorfer Straße, Favoritenstraße, Troststraße und Ettenreichgasse begrenzt ist.
Hinter den Betriebsgebäuden ist ein Bau zu erkennen. Das könnte ein Vorläufer des „Favoritner Colosseums“ sein. Dieser zirkusähnliche Rundbau war Anfang des 20. Jahrhunderts der Spielort der Löwinger Bühne, die früher als Wanderbühne durch die östlichen Bundesländer zog. Das Colosseum bestand bis 1945 an der Kreuzung Landgutgasse, Sonnwendgasse (heute ein Hochhaus).
Man sieht, dass im frühen 19. Jahrhundert das Gebiet vor der Stadtmauer als Ausflugsziel genutzt wurde, weil Waren dort unbesteuert gehandelt werden konnten.
„Zehnter Hieb“
Bis 1867 wurde das heutige Favoriten, das damals etwa bis zur Quellenstraße bebaut war, von Wieden (östlich der Laxenburgerstraße) und Margareten (westlich von der Laxenburgerstraße verwaltet und hieß „Siedlung von der Favorita-Linie“. Die Eingemeindung als 10. Bezirk und erster Bezirk außerhalb des Linienwalls erfolgte 1874, der erste Bezirksvorsteher war der Gastwirt und Gemeinderat Johann Heinrich Steudel, an den heute die Steudelgasse erinnert. Die Bezirksgrenzen wurden einfach entlang der Bahnlinien gezogen, so als wären sie mit einem Hieb abgetrennt worden, woraus sich der Name „Zehnter Hieb“ abgeleitet hat.
1872
Eine Landkarte aus 1972 zeigt die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bezirkswerdung. Zu dieser Zeit war das Bahnhofsgelände größer als das Siedlungsgebiet, das sich etwa bis zur Gudrunstraße erstreckt hat, Die Gudrunstraße hatte damals entlang ihres heutigen Verlaufs die Bezeichnungen Geißelberger Weg, Kroatengasse, Berthagasse und Simmeringer Straße.
Grün markiert sind das Alte Landgut und der Rote Hof.
In der südöstlichen Ecke des Plans erkennt man das Gebiet der Wienerberger Ziegelwerke am Laaerberg, eine abgeschlossene Welt, die damals außerhalb der Stadtgrenzen lag.
Links
- Wien Südbahnhof (Wikipedia)
- Wien Gloggnitzer Bahnhof (Wikipedia)
- Bahnhöfe der Wien-Gloggnitzer Bahn (Wikipedia)
- Favoritenstraße (Wikipedia)
- Der Rote Hof (Wikipedia)
- Altes Landgut (Wikipedia)
- Löwinger-Bühne (Wikipedia)
- Liste der Straßennamen von Meidling (Wikipedia)
- Johann Heinrich Steudel (Wikipedia)
- Gudrunstraße (Wikipedia)