Als František Carda meine Tante Milly im Jahr 1931 heiratete, war er 36 Jahre, meine Tante 26 Jahre alt.

Mein Onkel war die Korrektheit in Person, meine Tante war ihm ziemlich untergeordnet. Nur die Schuhe durfte sie ihm nicht putzen, das konnte keiner so wie er – meinte er. Wahrscheinlich war diese Korrektheit ein Überbleibsel seines Militärdienstes im Ersten Weltkrieg. Er ist als Fähnrich abgerüstet. Er war beim Militärdienst in Kroatien stationiert.

Danach studierte mein Onkel auf der Technischen Hochschule in Wien, schaffte aber nur die Erste Staatsprüfung in Elektrotechnik.

Er war in der Pohan-Familie die Person, die den schriftlichen Umgang mit Ämtern, Geschäftspartnern, Rechtsanwälten am besten beherrschte. Daher gibt es von ihm auch viel mehr schriftlichen Nachlass. Mietverträge, Eingaben bei der Behörde uvam., das alles ließen meine Tante und meine Großmutter über seinen Schreibtisch laufen.

In der Zeit der deutschen Besatzung war es entscheidend, ob man Tscheche war oder Österreicher. Für die meisten Wiener Tschechen war es nicht wichtig, Österreicher zu sein und daher waren die meisten von ihnen zu ihrer tschechischen Geburtsgemeinde durch einen „Heimatschein“ zuständig. So war es bei meinen Kvacek-Großeltern und meiner Mutter und so war es auch bei den Carda. Eigentlich wäre mein Onkel als Fähnrich im Ersten Weltkrieg sehr kriegsdienlich gewesen, wurde aber wegen seiner Zugehörigkeit zu Tschechien nicht zum Militärdienst einberufen. Stattdessen wurde er in einem Betrieb für Tonwaren eingesetzt. Während der Zeit der alliierten Luftangriffe war er für die Organisation der Schutzmaßnahmen im Keller des Hauses zuständig.

Die Carda wohnten in unserem Haus in der Lorystraße 17 auf Tür 17. Anders als bei Tante Hanni, konnte man am Abend, wenn der Onkel nach Hause kam, nicht einfach anklopfen. Am Tag schon, denn da war nur die Tante Milli zu Hause; aber am Abend, da musste man schon eingeladen worden sein. Ich war aber oft bei meinem Onkel eingeladen. Meine Tante kochte ganz ausgezeichnet. Es gab immer Suppe, die man „meduzínská“ nannte. Dieses Wort gibt es laut Wörterbuch gar nicht, wahrscheinlich auch so ein Kuchl-Böhmischer Ausdruck. Es heißt so viel wie „medizinisch“; gesund war sie halt.

Das Wohnzimmer des Onkels war für mich überaus interessant. Es gab eine bebilderte Gesamtausgabe von Joules Verne und Reiseberichte aus Afrika, die ich mir immer wieder gerne anschauen kam. Sehr eindrucksvoll war der große Schreibtisch mit den vielen Briefbeschwerern, den ich heute noch besitze.

Nach meiner Einschätzung war diese Dominanz des Onkels aber möglicherweise eine Methode, vorhandene Schwächen, die man aber nicht zeigen will, zu verbergen. Durch diese Strenge erzeugte er eine Distanz, über die man nicht hinweg kam, um zu erfahren, was und wie er wirklich ist. Dafür spricht zum Beispiel das unvollendete Studium. Dafür kann es natürlich mannigfaltige Gründe geben aber auch den, dass er es einfach nicht geschafft hat. Und da ist noch die für meine Tante besonders tragische Verweigerung eines Kindes. Er fühlte sich – nach Erzählungen von Familie Hradil – für eine Vaterschaft zu alt und zwang meine Tante zu mehreren Abtreibungen.

Möglicherweise war es gerade diese gestrenge Art, die ihn schließlich vom Lehrer zum Direktor der Komensky-Schule am Sebastian-Platz avancieren ließ. Diesen Posten bekleidete er bis zu seinem Tod und als diesen Direktor kann ich ihn.

Ich stand innerhalb der Klasse als Neffe des Direktors irgendwie in der Auslage aber als Lehrer hatte ich ihn nie, denn er unterrichtete ausschließlich in der Hauptschule und verließ die Schule nach der vierten Volksschulklasse.

Mein Onkel starb 1958 als ich gerade zehn Jahre alt war mit 63 Jahren an Herzversagen. An diesem Tag im November war meine Cousine Christa bei uns zu Gast und ich spielte Klavier als es dann hieß, ich solle mit dem Klavierspiel aufhören, es wäre was Schreckliches passiert. Sonderbarerweise erinnert man sich bei außergewöhnlichen Ereignissen ganz genau auf die sonstigen Details dieses Tages.

Dann erinnere ich mich noch auf das riesige Begräbnis, zu dem alle Schulklassen angereist kamen. Mir war es dann sehr unangenehm, nicht bei meiner Klasse sein zu dürfen, sondern mit den Verwandten am Grab stehen zu müssen.

Artefakte

An meinen Onkel erinnern einige Briefbeschwerer, eine Junghans-Stand-Pendeluhr mit der Uhrwerksnummer 18 sowie sein Schreibtisch, in dem wir alte Bilder aufbewahren.