Über den Schneidermeister Adalbert Tušl, der meine Großtante Ludmilla geheiratet hat, weiß ich wenig. Er starb bereits 1947.
Fest steht, dass die drei Schwestern Ludmilla, Maria und Julie gemeinsam das Zinshaus in der Sedlitzkygasse 14 erworben haben. Überhaupt hatten eher die Frauen das Sagen in der Pohan-Familie.
Nach dem frühen Tod von Maria 1932 trat ihre Tochter Ludmilla (meine Tante Milli) an ihre Stelle.
Für Ludmilla ergab sich eine Wohngelegenheit und gleichzeitig ein Geschäftslokal für das Schneidergewerbe. Für Julie, meine Großmutter bot es ein Geschäftslokal für ein weiteres Lebensmittelgeschäft. Warum sich allerdings Maria bei diesem Kauf beteiligt hat, weiß ich nicht.
Die Tušl hatten zwei Kinder: den älteren Richard und den jüngeren Felix. Zu Kriegsbeginn waren sie 31 und 28 Jahre alt. Aber nur der jüngere Felix dürfte an der Front gewesen sein. Vielleicht deshalb, weil der Ältere wegen des schlechten Gesundheitszustands seines Vaters befreit war?
Am 10. Oktober 1944 war Felix auf Heimaturlaub bei seiner Familie. Man feierte und achtete nicht auf den Aufruf, sich in die Luftschutzkeller zu begeben. Eine Bombe schlug in das Haus in der Hauffgasse ein. Felix war sofort tot, seine Mutter verstarb einen Monat später, die Frau von Richard, Mathilde verstarb im Februar 1945.
Diese tragischen Ereignisse in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs waren ein harter Schicksalsschlag für den allein gebliebenen Richard, der mit der Schneiderei zurechtkommen musste.
Er führte das Geschäft der Eltern weiter, konnte den Besitz aber nicht erhalten und häufte Schulden an. Schließlich war der Schuldenberg so groß, dass Julie, meine Großmutter und Milly, die Tochter von Maria, die Schulden getilgt haben und dafür den Hausanteil von Richard übernahmen. Julie überließ Richard eine Wohnung (Tür 18) in der Lorystraße 17.
Richard hatte danach das Glück, dass er eine resolute Partnerin, Mitzi Geosits kennengelernt hat, die ein Tochter, meine Rufcousine Christl in die Ehe mitbrachte. Mitzi brachte es fertig, Richard vom Alkohol fernzuhalten und ihm zu einem stabilen Leben zu verhelfen. Richard übersiedelte in den letzten Stock eines neuen Wohnhauses in der Hauffgasse mit prächtigem Fernblick. Ob meine Großmutter und meine Tante ihn beim Wohnungskauf unterstützten weiß ich nicht.
In dieser Konstellation kannte ich die Familie Tušl. Die tragischen Ereignisse im Weltkrieg habe ich erst im Laufe der Jahre, vor allem durch Erzählungen meiner Tante Milli erfahren.
Beim Begräbnis meines Onkels Richard 1994 habe ich meine Cousine zum letzten Mal gesehen. Sie verstarb 2006 an Krebs.
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