Ein Krebs kommt selten allein
Was treibt mich ins Krankenhaus?
Im Juni 2021 wähnte ich einen Lymphknotenkrebs nach einer halbjährigen Chemotherapie überwunden und erlebte einen entspannten Sommer mit der Familie, weil die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen kein weiteres Wachstum der Lymphknoten zeigten. Siehe Bericht „Ich hab schon mehr gelacht…“
Im Dezember folgte aber eine CT mit der rätselhaften Formulierung „Raumforderung in der Blase“. Übersetzt: da ist etwas, was da nicht hingehört – ein Tumor. Der vorläufige Arbeitstitel „Blasenkrebs“. Eine OP wurde geplant. Einerseits sollte der Tumor entfernt werden, anderseits sollte eine Gewebsprobe entnommen werden. Ich bekam einen OP-Termin am 1.3.
Beschwerden hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt keine. Doch ab Anfang Februar vervielfachten sich die Toilettengänge und waren zeitweise schmerzhaft, manchmal war Blut im Harn. Wäre ich nicht schon für eine OP vorgemerkt gewesen, hätte ich meinen Urologen aufsuchen müssen.
2022-02-28 Montag
Ich erschien mit einem Haufen Befunde (Blutbild, EKG, Röntgen, OP-Freigabe) in der Station 42 des KFJ (Urologie). Gemeinsam mit mir warteten noch weitere vier Patienten auf die Aufnahme. Es war wie bei einer „Reise nach Jerusalem“, denn jeweils nach etwa einer dreiviertel Stunde wurde einer meiner Leidensgenossen mit einem neuen Termin nach Hause geschickt. Der Grund: Wegen corona-bedingten Personalmangels musste an diesem Tag eine ganze Station geschlossen werden, daher der unerwartete Engpass.
Ich war „der Sieger“. Und warum gerade ich? Ich vermute, dass der Grund die Größe des Tumors war und/oder der Umstand, dass ich von einer benachbarten Abteilung (Onkologie) überwiesen wurde.
Zimmer 18
Das VIP-Zimmer 7 mit Panoramablick auf Wien von meinem ersten Aufenthalt auf der Urologie bekomme ich nicht. Ich lande auf Zimmer 18, ein Doppelzimmer mit schlichter, modernster Ausstattung. Meine Zimmerkollegen waren nicht sehr gesprächig.
Man soll ja nicht fotografieren. Das halte ich aber nicht aus, daher habe ich nur die lustige Wandmalerei als Andenken mitgenommen,
Die Herstellung des „Zugangs“, eines Venen-Ventils, mit dem Flüssigkeiten in den Blutkreislauf eingebracht werden, gestaltete sich schwierig, weil sich die Adern seit der Chemotherapie zurückgezogen haben.
Es gab noch ein „letztes Abendmahl“ und dann ab Mitternacht keine Nahrung mehr und auch keine Getränke.
2022-03-01 Dienstag
Eine Beruhigungspille bekam ich nicht, die Anästhesistin meinte, ich wäre ohnehin ruhig.
Das schlimmste ist ja gar nicht die Operation, weil man davon ohnehin nichts mitbekommt. Das Schlimme ist das Warten auf das Ungewisse. Es dürfte besser sein, weniger zu wissen als sich allzu genau zu informieren, weil man diese Informationen nicht wirklich einordnen kann. Allein der Umstand, dass ich den Tumor im Ultraschall gesehen habe, war sehr verunsichernd. Ein Studium des Abschnitts „Blasenkrebs“ in der Wikipedia verwirrt mehr als es hilft. Man fühlt sich wie ein Todeskandidat. Ich kann mir gut vorstellen, wie es einem Nicht-Nachrichtentechniker geht, wenn er sich in der Wikipedia zum Beispiel über die Maxwell-Gleichungen informiert. Er wird dankbar das Erklärungsmodell annehmen, dass ein Rosenquarz vor Strahlung schützt. (Für ein grundlegendes Verständnis dieser Grundlagen von Elektrizität und Strahlung benötigt man mehrere Semester harter Arbeit.)
Warten von 6:00 bis 16:30. Dann geht’s in den OP-Saal im ersten Stock. Was beruhigt, ist die große Routine, mit der alles vor sich geht. Man wird am Tisch „gekreuzigt“ (Hände und Füße werden fixiert), die Anästhesie wird am Zugang angeschlossen. Dabei wird gescherzt, um die Situation zu entspannen.
Im Hintergrund ein lautes Telefongespräch. Es gibt Zeit, die beeindruckenden Geräte im Operationssaal zu studieren.
Das Telefongespräch geht zu Ende, die Oberärztin kommt und erklärt, dass die Operation verschoben werden müsse. Der Tumor sei so groß, dass man eine Bluttransfusion einplanen müsse und mein Blutbefund dazu zu alt wäre, und die Blutwerte einfach nicht gut genug seien.
Zurück an den Start. Ich komme wieder zurück ins Zimmer 18, und zwei Krankenschwestern versuchen, Blut abzuzapfen. Der ersten gelingt es zur Hälfte, die zweite schafft auch die zweite Hälfte. Geschafft? Leider nein, denn nach einer Stunde muss die Blutabnahme wiederholt werden, weil dem Labor die Blutmenge zu gering war.
Der Ärger über die Verschiebung der OP wurde mehr als kompensiert durch die Entscheidung der Oberärztin, kein Risiko einzugehen. Danke!
2012-03-02 Mittwoch
Am nächsten Tag dauert es bis 14:00, bis ich wieder im OP-Saal lande.
Die Operationsmethode nennt sich Transutherale Resektion, TUR-B oder TUR-P, je nachdem, ob die Blase oder die Prostata bearbeitet wird. Immerhin entsteht keine äußerliche Wunde, weil die Operation über ein Endoskop durch die Harnröhre erfolgt.
Was mich immer wieder beeindruckt, ist die freundliche Atmosphäre aller dieser Teams. Es wird gescherzt, auf einmal weiß man nichts mehr… und erwacht im Aufwachraum.
Hier ist Platz für etwa 10 Betten, jedes ausgerüstet wie die Intensivstationen, die man bei den Reportagen über die Covid-Krise gesehen hat. Man erklärt mir, dass es nur eine Light-Version einer Intensivstation ist, denn es werden nur Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Puls, Atemfrequenz gemessen.
Mit der Zeit kommt man drauf, dass man einen Katheter eingebaut bekam und man dadurch etwas bewegungseingeschränkt sein wird.
Ich wurde gefragt, ob ich Schmerzen hätte. Als Halb-Indianer berichtete ich über einen gewissen Druck. Gleich kommt eine Schwester mit einer flüssigen Dosis Novalgin, die über einen Einlass und ein eigenes Dosimeter zugeführt wird.
Was mich irritiert hat, waren zwei Blutflecken auf der rechten Hand und ein Zugang, der dort vorher nicht war. Ich erfuhr, dass der Zugang wegen der eventuell nötigen Bluttransfusionen angelegt wurde. Aber die Transfusionen erwiesen sich als nicht notwendig.
Etwa um 18:00 war ich wieder am Zimmer. Geschafft!
Ich habe zur Sicherheit noch eine Novalgin-Tablette genommen, es wäre aber nicht nötig gewesen, Schmerzen hatte ich keine.
2022-03-03 Donnerstag
Die Blase wird gespült. Salzwasser tropft aus einem 3-Liter-Ballon in den Katheter. Blutiges Wasser tritt aus. Bei der Visite wird die Entlassung für Samstagnachmittag oder Sonntagvormittag avisiert.
So ein Katheter ist ein trickreicher Schlauch, der nicht nur den Harn aus der Blase in einen Kunststoff-Beutel ableitet. Man kann über ein Ventil auch Flüssigkeiten in die Harnblase leiten, in meinem Fall eben eine Kochsalzlösung. Das Ende des Katheters wird nach dem Einführen mit einer Flüssigkeit wie ein Luftballon aufgeblasen. Dadurch wird verhindert, dass der Schlauch aus Blase herausrutscht. Durch Heraussaugen der Flüssigkeit mit einer Spritze schließt sich der Ballon, und man kann den Schlauch wieder aus der Harnröhre entfernen.
2022-03-04 Freitag
Die Spülung wird abgehängt. Doch der Urin ist noch blutig. Die Spülung wird wieder angeschlossen. Die Visite verschiebt die Entlassung auf Sonntag.
Absendung des Newsletters 370 von Clubcomputer.
Rapid II gewinnt in Kapfenberg 2:1.
2022-03-05 Samstag
Dieser Bericht wird geschrieben.
Nachdem der Harn immer noch blutig ist, wird die Harnblase mit Wasser manuell mit einer Riesenspritze über den Katheter durchgespült. Jede Menge Blutkrusten kommen heraus.
Am Sonntag soll ich entlassen werden und würde noch das Spiel Rapid-Klagenfurt erreichen, bei dem ein Rapid-Sieg zum Erreichen der Meistergruppe unbedingt erforderlich ist.
Weil ich den Auftrag bekam, viel zu trinken, schaute ich mir den alten Western „Once Upon a Time in the West“ (Spiel mir das Lied vom Tod) an – mehr wegen der tollen Melodien – und trank dabei zwei Liter Wasser.
Es ist mir gelungen, trotz Operation einen täglichen Rapid-Newsletter abzusenden.
2022-03-06 Sonntag
Letzte Ultraschalluntersuchung ergibt ein untypisches Bild einer leeren Harnblase mit Harnresten „irgendwo“. Die Entlassung wird auf Montag verschoben, die Harnblase muss noch einmal untersucht werden.
Nichts ist es also mit dem Besuch des Fußballspiels!
Die Untersuchung am Nachmittag ergibt eine gestaute rechte Niere. Aber wegen moderater Nierenwerte ist keine Gefahr im Verzug.
2022-03-07 Montag
Die Entlassungsprozedur dauert bis 12:00, dann mit dem Bus zum Reumannplatz. Der Eissalon Tichy wird am kommenden Freitag öffnen.
Ich kaufe Süßes beim Felber und ein Mittagessen beim Duran, dann schaue ich noch beim neueröffneten Kent im Domenig-Haus vorbei, das seine Speisen auch über die Gasse und auch für Zustellung anbietet.
Irritation
Ein Clubmitglied hat mich auf zwei Fehler in unseren Aussendungen aufmerksam gemacht. Als er erfährt, dass ich im Krankenhaus liege, startete er die Klassiker der Systemgegner. Die Schulmedizin sei in völliger Abhängigkeit von der Pharmaindustrie, man solle sich auf alte Heilmethoden besinnen, dann brauche man kein Spital. Er werde mir Unterlagen senden. Klarerweise war mein Gegenüber nicht geimpft, wie er mir bedeutet hat.
Dass allerlei alternative Meinungen existieren, war sicher immer schon so, das Problem ist heutzutage, dass sich die Dummheit durch soziale Netze organisiert und verbreitet. „Unterschätze nie die Macht dummer Leute, die einer Meinung sind.“ (zugeschrieben Kurt Tucholsky) Und die Frage ist, wie groß der Anteil solcher Wähler – in Kombination mit einem geeigneten „starken Mann“ – sein darf, bis ein demokratisches System kippt.
Als sich Putin so um das Jahr 2007 durch Verfassungsänderungen eine zweite und danach auch weitere Amtszeit genehmigt hat, war ich beunruhigt. „Macht braucht nur, wer Böses vorhat. Für alles andere genügt Liebe“ (Charly Chaplin). Es gab sicher den Punkt in der Karriere des Wladimir Putin, an der einer seiner Mitstreiter ihm hätte den freundschaftlichen Rat geben können: „Towarisch Putin, das steht so nicht in unserer Verfassung, das ist nicht unser Russland“. Aber dieser Punkt wurde übersehen und die Machtfülle nahm in einer Art zu, wie man sie vorher nur bei Stalin und Hitler gekannt hat. Dass so weitreichende Entscheidungen wie ein Krieg tatsächlich von nur einer Person getroffen werden und die, die eventuell mitreden könnten, sich vor jeder Wortmeldung fürchten, so wie seinerzeit Bulganin, Beria, Gromyko und Chruschtschow sich nicht einmal getraut haben, einen Arzt zu holen, angesichts des Zusammenbruchs von Stalin, 1953 Link, zeigt, dass alle Kontrollmechanismen eines Staates ausgehebelt worden sind und nur mehr die Angst regiert, die Angst vor der Macht des Orban, Putin, Kim Jong-un.
Teamwork
Was den medizinischen Laien beeindruckt, ist die Maschinerie des Krankenhauses. Es gibt mehrere Ebenen: die Krankenträger, das Reinigungspersonal, die Speisenträger, die Pfleger, die diplomierten Pfleger, die Ärzte in Schulung, die Ärzte und die Vorstände. Zu dieser vertikalen Struktur kommt Ausbildung auf allen Ebenen.
Ein Spital bildet mit seiner „Hardware“ eine Einheit mit dem Personal. Ein Spital allein kann gar nichts, aber gemeinsam mit dem Personal erzeugt es das emergente Prinzip der „Heilung“, auch wenn kein einzelner Teil allein das könnte.
Multikulti
Eine Krankenschwester kommt aus Bratislava, eine andere aus Budweis. Beide pendeln nach Wien. Beide sind interessante Gesprächspartner für einen Wiener Tschechen. Die Dame aus Bratislava ist eigentlich Juristin, doch in diesem Beruf bekommt sie in der Slowakei nur etwa 700 Euro. Beide haben eine kleine Wohnung in Wien. Die Dienstzeiten sind so angelegt, dass sich das Pendeln auszahlt. Eine weitere Krankenschwester kommt ursprünglich aus Kinshasa (Republik Kongo), sie ist aber bereits sehr lange in Wien. Zwei Pfleger und eine Pflegerin kommen von den Philippinen. Mein betreuender Arzt auf der Onkologie kommt aus Siebenbürgen. Die größte Überraschung aber ist eine schwarze Krankenschwester auf der Onkologie, die nicht aus Afrika, sondern aus Hernals kommt und mit reinster Wiener Mundart spricht.
Routine
Wie schwerwiegend die Erkrankung eines jeden Einzelnen ist, ist völlig belanglos. Alle werden gleichbehandelt. Keiner wird bedauert, alle werden motiviert. Wie man die eigene Erkrankung einschätzen muss, erfährt man nicht immer, weil auch die Ärzte es nicht ad hoc wissen – und auch, weil zu viel Information an dieser Stelle eher heilungshemmend wirkt.
Hilfsbereitschaft oder Machtausübung?
Schule, Bundesheer, Krankenhaus. Das sind jene Stationen, die eine Sozietät von seinen Individuen abverlangt und denen man nicht entkommt. Man gibt seine Identität ab und betritt eine Welt mit völlig neuen Regeln. Die Rollen sind klar verteilt. In der Schule akzeptiert man, dass man etwas lernen muss. Beim Bundeheer muss eine gegebene Hierarchie akzeptiert werden. Im Krankenhaus gibt man seinen sonstigen zivilen Status ab und wird zum Patienten. In allen Fällen übt die Organisation, der man temporär angehört, Macht aus.
Ich frage mich, was die Motive für einen Sozialberuf sind. Ist es tatsächlich eine Neigung zur Hilfsbereitschaft oder ist es (auch) der Umstand, dass man – wenigstens temporär – eine ziemliche Macht über andere Menschen hat.
Woher kommt der neue Tumor?
Die Art des Tumors wird vom Pathologen festgestellt werden. Meine Frage, ob es sich bei dem Tumor wieder um ein Lymphom handeln kann, beantwortete ein Arzt so: Er hat schon viele Blasentumore behandelt, aber bei allen diesen Tumoren war nur ein einziges Lymphom dabei.
Ich stelle mir die Frage, ob es oft vorkommt, dass man zwei verschiedenartige Krebsarten unmittelbar nacheinander bekommt, oder ob nicht die zweite Krebserkrankung mit der ersten in Zusammenhang steht.
Tumorzellen bilden sich in jedem Menschen, und im Normalfall wehrt die Immunabwehr diese Zellen ab. Während einer Chemotherapie wird aber die Immunabwehr absichtlich reduziert, damit das Gift auf die schnellwachsenden Tumorzellen wirken kann. Funktioniert bestens, wie ich selbst erleben durfte.
Diese reduzierte Immunabwehr hat aber zum Beispiel den Nebeneffekt, dass alle Arten von Impfungen keine Antikörper bilden. Auch das konnte ich durch Antikörper-Tests nach Corona-Impfungen feststellen. Der Test ergibt 10 Tage nach der dritten Corona-Impfung, dass ich keine Antikörper gebildet habe.
Es könnte daher sein, dass ein zufällig sich bildender Tumor nach einer überstandenen Krebserkrankung wegen der nicht vorhandenen Immunabwehr sich sehr rasch ausbreiten kann, dass also mein Blasenkrebs überhaupt nur durch die Therapie nach dem Lymphknotenkrebs hat entstehen können oder wenigstens, dass sein rasches Wachstum diese Folge war. Wenn das stimmt, kann Chemotherapie möglicherweise ziemliche Nachwirkungen haben.
Weitere Vorgangsweise
Bei einem Ambulanztermin in der urologischen Ambulanz wird das Ergebnis der histologischen Untersuchung besprochen. Das Onko-Board im KFJ ist ein interdisziplinäres Gremium, bei dem jeder einzelne Fall von Ärzten verschiedener Fachdisziplinen bewertet und die weitere Therapie festgelegt wird.
Das kann in meinem Fall eine Wiederholung der Chemotherapie des Vorjahrs sein (wenn es sich um ein Lymphom handelt) oder etwas ganz anderes, zum Beispiel eine lokale Chemotherapie in der Blase, vielleicht sogar nichts weiter, wer weiß.
Es ist wie im Fußball: so lange nicht der Schlusspfiff ertönt, hat man noch eine Chance.
2022-03-15 Urologische Ambulanz
Der histologische Befund zeigt, dass der Blasentumor nicht von der Sorte „Blasenkrebs“ war, sondern ein Lymphom. (Wie ein Lymphknoten in die Blase hineinwachsen kann, weiß ich nicht, dazu muss man mehr von Medizin verstehen.)
Da diese Lymphome dazu neigen, überall auftreten zu können, ist eine lokale Behandlung in der Blase (wie bei einem Blasenkrebs) nicht das Richtige. Man muss mit einer Chemotherapie dem ganzen Körper den Kampf ansagen.
Sechs Nächte noch, dann geht es wieder los: Sechs Chemozyklen, jeweils eine Woche Krankenhaus und zwei Wochen zu Hause, insgesamt also 18 Wochen, wenn alles gut geht, wäre ich am 25. Juli fertig.
Irgendwann bleib i dann durt…
Heute bin ich optimistischer, weil ich erleben konnte, wie leistungsfähig unsere Spitäler sind.
Aber im September 2020 war meine Situation bedenklich. Einfache Anstrengungen wie Stiegen steigen waren nicht möglich, die Beine waren angeschwollen (weil die Lymphknoten den Plan verloren haben, die Flüssigkeit zu verteilen), ein solcher Lymphknoten im Bauchraum hat den Harnleiter der rechten Niere so abgequetscht, dass die Niere einen künstlichen Ausgang benötigt hat und aus der Lunge zwei Liter Wasser abgepumpt wurden.
In dieser hoffnungslosen Lage fiel mir dieses Lied ein. Nicht in Griechenland aus einer Insel würde ich bleiben, sondern ganz banal in einem Krankenhaus.
Aber mit jedem weiteren Tag in Behandlung besserte sich die Lage. Das Wasser verschwand, das Hämoglobin stieg wieder an und nach 5 Monaten konnte ich wieder einen normalen Arbeitstag bewältigen.
Nach allen diesen Erfahrungen gehe ich mit mehr Optimismus in die zweite Chemotherapie.
2022-04
Es kommt anders als man denkt.
Eine Chemotherapie reduziert die Lymphome mit Gift, das auf schnellwachsende Zellen wirkt. Manchmal beseitigt die Chemotherapie die Krebszellen, manchmal nicht. Bei mir nicht.
Meine Annahme, es würde wieder eine Chemotherapie werden, war falsch. Die Ärzte im Onko-Board haben beschlossen, mir eine Immuntherapie im AKH zu verordnen, die aber erst im Sommer beginnen kann. Um die Wartezeit zu nutzen, bekomme ich vier Zyklen einer Antikörpertherapie, die das Ziel hat, die Eigenabwehr des Körpers zu stärken und zu motivieren, den Tumor selbst zu bekämpfen. Diese Therapie hat praktisch keine Nebenwirkungen.
Es gab aber Schwierigkeiten, die Venen-Zugänge herzustellen. Mehrere Ärzte bemühten sich vergebens, Venen zu finden. Das war nicht immer so. Noch vor zwei Jahren ging das problemlos. Doch scheint sich der Körper unter dem Einfluss der Chemotherapie umgebaut zu haben. Es kann natürlich auch sein, dass es einfach ein Alterungsprozess ist.
Ich bekam einen Port-a-Cath (Port-Katheter), einen permanenten Venenzugang auf der rechten Brustseite in der Gegend des Schlüsselbeins einoperiert. Und anders als bei Operationen in Vollnarkose erfolgt diese Operation mit lokaler Betäubung. Es ist also eine Gelegenheit, die eigenen Ängste wieder einmal überwinden zu lernen.
Die Onkologie beauftragte eine Nierenuntersuchung in der urologischen Ambulanz. Diese ergab, dass meine rechte Niere eine Schrumpfniere ist und praktisch nichts zum Harnaufkommen beiträgt. Diese Veränderung der Niere wurde wahrscheinlich durch den Druck des Tumors herbeigeführt. Der Arzt empfahl, einfach abzuwarten, weil diese Problematik schon seit Jahren besteht und sich seither nicht viel verändert hat. Bei einer weiteren Verringerung der Durchflussmenge wären unangenehme Maßnahmen zu befürchten, wie zum Beispiel ein künstlicher Nierenausgang oder gar eine operative Entfernung der Blase. Hoffentlich bleibt dieses Szenario möglichst lange in der Ungewissheit der Zukunft.
Im April folgt noch die zweie Antikörpertherapie, und Anfang Mai soll die dritte folgen, doch der routinemäßige Corona-Test vor der Aufnahme ist positiv und die Therapie muss warten.
2022-05
Die nächsten sechs Wochen stehen im Zeichen eine ziemlich heftigen Corona-Erkrankung, die langwierig zu werden scheint. Als die Schluckbeschwerden unerträglich werden, rufen wir 1450. Doktor Nguyen diagnostiziert eine doppelseitige Angina, die mit einem Antibiotikum bekämpft wird, Nach einer Woche gehen die Schluckbeschwerden zurück.
2022-06
Erst in der zweiten Juniwoche wird der Corona-Test negativ, und die Antikörpertherapie kann mit dem dritten Zyklus fortgesetzt werden. Danach folgt eine PET-CT am Klinikum-Landstraße Die PET-CT zeigt immer noch eine durch den Tumor verdickte Harnblasenwand.
Vielleicht sollte man an dieser Stelle anmerken, dass es mir sehr gut geht. Ich kann zwar nichts planen, weil ich immer gegenwärtig sein muss, ins Spital gehen zu müssen. Aber der sonstige Alltag ist entspannt, wir verbringen die heißen Stunden im „Tschuschenaquarium“. Für uns ist es das Dragonerhäufl am Romaplatz gegenüber vom Gasthaus Birner. Aus Sicherheitsgründen haben wir neuerdings eine chinesische Schwimmboje dabei, die einzige mit praktischen Handgriffen
2022-07
Ein vierter Zyklus der Antikörper-Therapie wird im KFJ durchgeführt. Ich bekomme bei einem Ambulanztermin eine Injektion mit Corona-Antikörpern, weil mein Immunsystem nach den Corona-Impfungen selbst keine Antikörper ausbildet. Nach einigen Tagen kommt ein Anruf vom KFJ, dass ein Behandlungstermin im AKH bei Frau Professor Worel vereinbart werden konnte.
AKH
Der Besuch zu einem Vorgespräch im AKH war ein Erlebnis. Einerseits die Wanderung durch das riesige Gebäude, dann ein netter Arzt, der mich gleich zur Behandlung mitnehmen wollte. Erst eine Kontrolle des Geburtstags ergab, dass es sich um eine zufällige Namensgleichheit mit einem anderen Patienten „Franz Fiala“ gehandelt hat.
„Worel“ ist en tschechisch klingender Namen, obwohl man im Tschechischen „Vorel“ schreiben würde. Frau Worel stammt aus einer sudetendeutschen Familie in Tschechien, wie sie mir erzählt hat (daher das „W“ statt des „V“). Im Tschechischen ist „orel“ der „Adler“ und „vorel“ dasselbe, mundartlich betont. Überhaupt kommt man sich gar nicht wie ein Patient vor, so kameradschaftlich wird man in den Spitälern behandelt.
Das Gespräch zeigt, dass ich für ein ganz besonderes Verfahren vorgesehen bin. Erst 2019 hat das von Novartis und Frau Professor Worel am AKH entwickelte Verfahren KYMRIAH die Zulassung in den USA und in der EU bekommen. Vielleicht braucht man in dieser Frühphase einfach Tester, und da ich alle anderen Therapien sehr gut vertragen habe, könnte das den Ausschlag gegeben haben. Eine Recherche im Internet zeigt, dass die Kosten für eine solche Behandlung in der Größenordnung der Kosten eines Einfamilienhauses liegen. Ich bin kein Oligarch, kein Schein, nicht der Wiener Bürgermeister und nicht einmal der Rapid-Präsident, einfach der Fiala aus Favoriten.
Etwas makaber ist der Werbespruch von Novartis: „Geld zurück, wenn der Patient verstirbt.“ Man weiß nicht recht, was man davon halten soll. Ist Novartis so überzeugt von der Wirksamkeit der Therapie oder will man den Kostenträger von den enormen Kosten ablenken. Wenn alle Patienten versterben, kostet das Ganze gar nichts, überleben alle, wäre das ein voller wirtschaftlicher Erfolg für das Unternehmen. Man kann sich vorstellen, dass man unter dieser Randbedingung die Patienten sehr gut auswählt und daher meine Chancen vielleicht gar nicht so schlecht stehen, dass die Therapie wirkt.
Der Assistenzarzt in der AKH-Abteilung sagte es so: „Wenn man schon schwer erkrankt, dann sollte man in Wien leben“. Das hat mir schon mein verstorbener Freund Ferdinand de Cassan erzählt. Er hatte eine Leukämie, war ein ganzes Jahr in einem Isolationszimmer am AKH und wurde auch mit einer sehr teuren Therapie behandelt. Tatsächlich konnte er ein Jahr lang an unseren gemeinsamen Projekten teilnehmen. Nach einem Jahr aber, war der Krebs stärker.
Leukämie und Lymphom sind insofern verwandt, als beide mit derselben Methode KYMRIAH bekämpft werden.
KFJ
Damit diese Therapie am AKH durchgeführt werden kann, braucht das AKH einen eigenen Katheter am Hals, weil meine Hand-Venen für einen solchen Zugang als ungeeignet bewertet werden. Diese kleine Operation wurde an das KFJ delegiert und wird dort ausgeführt. Danach werde ich mit der Rettung (!) ins AKH gebracht. Jeden Tag ist ein Corona-Test fällig.
Vereinbart war, dass ich am Sonntag ins KFJ komme. Am Freitag – wir kaufen gerade im Merkur ein – ruft mich Oberarzt Hofinger aus dem KFJ an, ich möge doch schon am Samstag kommen, denn es wäre nur mehr ein Bett frei. In jedem anderen Fall hätte man mich ohne freies Bett einfach nach Hause geschickt, in diesem Fall war es aber auch für das KUMRIAH-Projekt wichtig, dass der Patient auch verfügbar ist.
Ich möchte noch einmal betonen, dass es mir subjektiv sehr gut geht, und dass ich keine krankheitsbedingten Wehwehchen habe, sieht man von einer kleinen Kurzatmigkeit ab, die durch einen niedrigen Hämoglobinwert bedingt ist. Der Krebs hat zur Folge, dass alle relevanten Blutbestandteile zu gering sind („Panzytopenie“). Da auch die Thrombozyten betroffen sind, werde ich vor dem Eingriff eine Thrombozyten-Infusion bekommen.
Vielleicht ist auch mein allgemein guter Gesundheitszustand wesentlich für meine Auswahl für die KYMRIAH-Therapie. Ich bekomme das letzte Bett in einem Einzelzimmer.
KYMRIAH
Diese KYMRIAH-Therapie wird nur einmal verabreicht. Am Dienstag wird mein Blut in einer Zentrifuge in seine Bestandteile aufgespaltet und die weißen Blutkörperchen entnommen. Sie kommen ins Novartis-Labor und dort in einem komplexen Prozess „bewaffnet“, in dem aus den T-Zellen sogenannte CAR-T-Zellen geformt werden (Chimärer Antigen Rezeptor). Die T-Zellen sind danach in der Lage, die Krebszellen zu erkennen und zu zerstören. Nach der Entnahme der Blutbestandteile muss man 3-4 Wochen warten. In dieser Zeit kann eine Überbrückungstherapie angesetzt werden.
Makabrerweise gibt es von Novartis eine Geldzurück-Garantie im Todesfall. Bezahlen muss der Kostenträger nur, wenn die Therapie klappt und der Patient eine vorher definierte Zeit überlebt. „Geld zurück, wenn Patient verstirbt.„
2022-08
Einige Tage von der Infusion der CAR-T-Zellen wird eine spezielle Chemotherapie durchgeführt. Duch sie wird die Zahl der Immunzellen verringert, um Platz für die CAR-T-Zellen zu schaffen, damit sich diese besser vermehren können.
Der Vorteil dieser Therapie ist, dass man keine Abstoßungsredaktionen durch ein fremdes Spenderblut zu erwarten hat.
Wahrscheinlich wird nach einiger Zeit wieder eine PET-CT am Klinikum Landstraße angesetzt. Man kann nur hoffen, dass die aufwändige Prozedur geholfen haben wird.